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04.08.12 / Das Herz muss wissen, wann es da sein soll / Gedanken über das Wiedersehen − Wie es damals in Ostpreußen war und in der schnelllebigen Zeit heute ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-12 vom 04. August 2012

Das Herz muss wissen, wann es da sein soll
Gedanken über das Wiedersehen − Wie es damals in Ostpreußen war und in der schnelllebigen Zeit heute ist

In Bahnhofsnähe beobachtete ich kürzlich Folgendes: Ein Mann mit Rollkoffer und ein Kind strebten aufeinander zu. Es war offensichtlich, wie sehr sie sich freuten, und das letzte Stück-chen Weg, das sie noch vor einander trennte, wäre der − vermutliche − Vater fast gerannt. Der Koffer blieb stehen, das Mädchen presste sich in seine offenen Arme, und sich immer wieder drückend, zogen sie den Koffer hinter sich her. Und ich glaubte auch die unvermeidliche Frage zu hören: „Hast du mir auch was mitgebracht?“

Während ich mit dem Rad weiter fuhr, gingen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf. Was war das früher doch für eine große Begebenheit, wenn Besuch kam. Es gab kein Telefon im Hause und kein Brief konnte aufzeigen, wie es in der Wirklichkeit um einen stand. Hatte Mutter sich verändert? Hatte sich Vater von seiner Operation wieder gut erholt? Es hat grundlegende Veränderungen im Zusammenkommen der Menschen gegeben. Man sieht sich heute sicherlich öfter, aber nicht mehr so intensiv. Da ist erstmal die Ankündigung des Besuches, die früher schon allein das Haus in Aufregung versetzte. Es musste natürlich alles auf Vordermann gebracht werden: das Haus geputzt, das Gästezimmer – so vorhanden – hergerichtet, es wurde gebacken und ein Speiseplan mit den Lieblingsspeisen des Erwarteten erstellt und man überlegt gemeinsam, was man mit ihm unternehmen könnte. Blumen auf den Tisch – und dann großer Bahnhof! Alle Mann hin, um den Gast abzuholen. War mit Gepäck zu rechnen, musste natürlich der Handwagen genommen werden, denn ein Auto gab es nicht. Und auch kein Taxi, da musste man sich bei viel „Bagasch“ bei Onkel Friedigkeit Pferd und Wagen ausleihen.

Heute heißt das Motto: Komm’ nicht so spät und bleib’ nicht zu lang. Viele kurze Reisen, die auch in acht Tagen um die Welt führen können, sind gefragt. Ob viel auch wirklich viel ist, weiß man nicht, zu mindestens ist es stressig. Flüchtig, wie wir sind, muss schon nach kurzem Aufenthalt im Hause der Rollkoffer gleich wieder gepackt werden, denn der günstig scheinenden Angebote sind es ja so viele. Das färbt sich auch auf Besuche im Familien- oder Freundeskreis ab.

Das war doch früher anders. Im alten Ostpreußen pflegte man vor allem Verwandtenbesuche, denn Familienmitglieder gab es reichlich und jeglichen Grades. Man kam, um eine Weile zu bleiben, sich mit dem Gastgeber vertraut zu machen. Der holte den Besuch erwartungsvoll vom Bahnhof ab. Wenn der Zug hielt und sich langsam die Türen öffnen, wurde Ausschau gehalten, aus welchem Abteil der Erwartete stieg. Prüfende Blicke: Hat man sich verändert? Verstohlen wurde eine erste Bestandsaufnahme gemacht. Schließlich schickte man nicht dauernd die neuesten Fotos, und gemailt wurde ja auch nicht.

„Das Herz muss wissen, wenn es da sein soll“, heißt es im „Kleinen Prinzen“. Im motorisierten Zeitalter ist man nie vor Überraschungen sicher, und ehe man sich auf den Besuch eingestellt hat, ist man wieder allein und fragt sich: War das denn nun Wirklichkeit oder nicht? Und Grete, mit der ich darüber diskutiere, sagt: „Wie im Drive in“ und ergänzt: „Sah ich an der Autobahn“. Man kommt, man geht, verweilt kaum.

Zurück in die Vergangenheit. Der Besuch ging zu Ende, der Koffer war gepackt, der Proviant für die Reise in die Hand gedrückt – das „Hoaskebrot“ hatte immer einen extra dicken Belag – zusätzlich noch ein Pappkarton mit nahrhaften Dingen gefüllt, damit der Gast aus der Stadt für die nächsten Tagen versorgt war. Der Handwagen wurde aus dem Stall geholt und mit einer Wolldecke ausgelegt, um den guten Lederkoffer ja nicht zu beschädigen, und dann ging es los.

Einer schob und einer zog und bremste, wenn es bei Urbands den Berg runter ging. Wie immer war man viel zu früh am Bahnhof, der Zug noch nicht in Sicht. Dann aber, wenn alles verstaut, der Platz belegt, das Fenster heruntergelassen war, wurde aus dem abfahrenden Zug gewinkt. Mit einem Taschentuch – und der Zurückgebliebene hatte ebenfalls eines hervorgezogen und ließ es so lange flattern, bis der Zug nicht mehr zu sehen war. Es blieben Leere und eine gewisse Traurigkeit zurück. Aber wenn man dann mit dem Handwagen nach Hause zog, raffte man sich wieder auf und dachte an die vergangenen schönen Tage zurück. So halten wir es noch heute. Und das Tuch, das Taschentuch, ist ganz wichtig. Es sollte weiß sein und frisch entfaltet werden. Christel Bethke


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