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04.08.12 / Ein Psychogramm des Kaisers / Aufschlussreiche Sammlung wichtiger Reden von Wilhelm II.

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-12 vom 04. August 2012

Ein Psychogramm des Kaisers
Aufschlussreiche Sammlung wichtiger Reden von Wilhelm II.

„Einer nur ist Herr im Reiche, und das bin Ich, keinen anderen dulde ich.“ Um starke Worte war der letzte deutsche Kaiser nie verlegen, und so haftet seinen zahllosen Reden und Eröffnungsworten immer etwas Heftiges, Einseitiges, wenn man es wohlwollend sieht, etwas sehr Persönliches an. Für seine Impulsivität war der Kaiser ebenso beliebt wie berüchtigt; den Verantwortlichen in der Reichsregierung sträubten sich mitunter die Haare, weil sie immer schon ahnten, dass sie mit Mühe wieder ausbügeln mussten, was der Kaiser zumal auf außenpolitischem Gebiet eingebrockt hatte; die „Daily Telegraph-Affäre“ von 1908 ist nur das markanteste Beispiel.

Die Otto-von-Bismarck-Stiftung hat in ihrer Wissenschaftlichen Reihe, die von dem Bismarck-Biografen Lothar Gall betreut wird, eine Auswahl von Kaiserreden herausgegeben, die von der Kronprinzenzeit 1883 bis unmittelbar zur Abdankung im November 1918 reicht. Es sind 245 Reden und Ansprachen, die größtenteils schon irgendwo publiziert sind, doch hat der Herausgeber Michael A. Obst auch 19 Reden aufgenommen, die bislang noch nicht veröffentlicht wurden. In der Summe offenbart sich, wie Obst ganz recht sagt, so etwas wie ein Psychogramm des Kaisers, das sich in der langen Regierungszeit von 30 Jahren kaum modifiziert hat.

Bei den ausgewählten Dokumenten wird zwischen „kaiserlichen Reden“ und „Thronreden“ unterschieden. Erstere überwiegen und sind zu allen nur denkbaren Anlässen gehalten: Fahnenweihen, Besuche in vielen deutschen Städten, Sportveranstaltungen und immer wieder Militärisches wie Rekrutenvereidigungen, Generalstreffen oder Manöver. Die Thronreden etwa bei der Eröffnung einer neuen Session des Reichstags oder vor dem preußischen Landtag wurden dem Kaiser im Manu-skript von der Regierung vorgeschrieben; er hielt sich meist daran, schweifte dann aber doch immer wieder ab zu seinen Lieblingsthemen Patriotismus, Preußentum und kaiserliche Gewalt.

Heute wird Wilhelm II. äußerst kritisch gesehen. Aber man täusche sich nicht: Damals traf der Kaiser den Ton der Zeit, wusste sich eins mit der Mehrheit der Deutschen, die in ihm keineswegs einen Dilettanten auf dem Thron sahen, vielmehr einen würdigen Repräsentanten eines starken Reiches. Und der Kaiser hofierte, wo immer es ging. In Köln sprach er von den „kerndeutschen Rheinländern“, in Königsberg nannte er Ostpreußen „die Säule des Vaterlandes“. Erst der nicht enden wollende Krieg ab 1914 lässt seinen Nimbus verblassen.

Das flotte Daherreden und Säbelrasseln war die eine Seite der Medaille. Die andere war eine große Sensibilität für die Verantwortung von Bildung und Wissenschaft für die Zukunft des Volkes. Auf der Einhundertjahrfeier der Berliner Universität erklärte er den verdutzten Ordinarien, dass nicht die alma mater bedacht werde, sondern dass außerhalb der Hochschule eine ganz neue Gesellschaft zur Förderung von Naturwissenschaft und Technik errichtet werde. Und die längste Rede im Buch, fast zehn Seiten, ist eine Ansprache auf einer Berliner Schulkonferenz, auf der er dem verkrusteten Gymnasialsystem den Kampf ansagt.

Wer den Kaiser unmittelbar erleben möchte, findet hier reiches Anschauungsmaterial. Für eine vertiefte Forschung ist das Buch allerdings weniger zu gebrauchen, denn es fehlt leider fast völlig – wie doch sonst in derartigen Dokumentationen üblich! – ein erläuternder Teil zu den einzelnen Texten. So ist man gewissermaßen mit dem Kaiser allein, was ja auch seinen Reiz hat. Dirk Klose

Michael A. Obst (Hrsg.): „Die politischen Reden Kaiser Wilhelms II. Eine Auswahl. Band 15 der Wissenschaftlichen Reihe der Otto-von-Bismarck-Stiftung“, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2011; 425 Seiten, 68 Euro


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