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04.08.12 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel / Zwei Euro vierzig / Was Experten-Gutachten wert sind, wie man Deutsche am besten übers Ohr haut, und wie Günter Wallraff tatsächlich »ganz unten« ankam

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-12 vom 04. August 2012

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Zwei Euro vierzig / Was Experten-Gutachten wert sind, wie man Deutsche am besten übers Ohr haut, und wie Günter Wallraff tatsächlich »ganz unten« ankam

Donnerwetter noch einmal! Wenn wir das gewusst hätten! Der „Wissenschaftliche Dienst des Bundestages“ hat durch ein Gutachten herausgefunden, dass der Bundestag doch kein Vetorecht genießt, um uns gegen uferlose Geldforderungen des „Rettungsschirms“ ESM zu schützen. Die Abgeordneten könnten die Forderungen weder zurückweisen noch gebe es irgendwelche „Obergrenzen“, Deutschland haftet grenzenlos.

Politiker und Experten sind schockiert: Die Bundesregierung habe das aber ganz anders dargestellt, jammern sie. Na, dann ist es ja gut, dass es diese versierten Gutachter gibt, die uns endlich klar sehen lassen.

Gutachten sind wichtig, sie helfen unseren Parlamentariern bei der Entscheidungsfindung. Oder auch nicht: Denn die brisante Studie kam ja erst, welch hässlicher Zufall, als das Parlament bereits abgestimmt hatte. Da fragt man sich, was solche Arbeiten eigentlich wert sind, zumal sie meist viel Geld kosten.

Normalerweise lässt sich der „Wert“ von Gutachten nur schwer ermessen. Das ist diesmal glücklicherweise anders, denn den Wert dieser Studie können wir auf den Punkt genau angeben: Er beträgt exakt zwei Euro und 40 Cent.

Soviel hätten die Parlamentarier vor gut einem Jahr in die Hand nehmen müssen, um sich am Kiosk die PAZ vom 9. Juli 2011 zu kaufen. Da stand gleich auf Seite 1 genau das drin, was nunmehr expertenfest bestätigt wird. Oder sie hätten, wie der Verfasser des PAZ-Artikels, den ESM-Vertrag einfach mal lesen können. Der Text lässt keinen Zweifel aufkommen über die unbegrenzte Zahlknechtschaft der Deutschen und die Entrechtung ihrer Volksvertreter.

Alles Idioten? Nicht alle: Der eine oder andere Abgeordnete kann einem ehrlich leidtun. Was wohl jetzt in den Köpfen der verzweifelten ESM-Gegner wie Frank Schäffler, Klaus-Peter Willsch oder Peter Gauweiler abgeht? Wie werden die reagieren, wenn ihnen der erste Ja-Sager-Kollege sein „Wenn ich das geahnt hätte!“ entgegenjault? Ihm an die Gurgel gehen? Ihn fluchend durchs Fenster schmeißen? Verstehen könnte man beides, und noch einiges mehr.

Wie leicht es doch ist, die Deutschen übers Ohr zu hauen. Zumal wir wohl die einzigen Angehörigen der Gattung Mensch sind, die den Räubern eigenhändig den Tresor aufmachen und sich einreden, sie hätten schließlich auch etwas davon, wenn es dem Gierhals mit ihrem Geld besser geht.

Allerdings wollen wir uns ja weiterentwickeln. Dafür müsste man nur wissen, woran man erkennt, dass die Deutschen mal wieder verschaukelt werden.

Da gibt es ganz untrügliche Anzeichen. Wenn in der Euro-Debatte die Rede auf den Marshall-Plan und gewisse Schuldenerlasse für Deutschland nach dem Weltkrieg kommt, dann stehen wir bereits auf der Leimrute. So will man den Deutschen einreden, dass sie heute nur zurückzahlen sollen, was man ihnen gestern aus reiner, unverdienter Nächstenliebe gewährt hat.

Kurz zur Sache: Die Marshall-Kredite flossen erst, als Westdeutschland die Währungsreform hinter sich hatte und aus dem Gröbsten raus war. Der Plan war eine Investition der USA in einen aufstrebenden Markt, in bester marktwirtschaftlicher Tradition und für die Amerikaner überaus lohnend. Das Gesamtvolumen betrug vier Prozent der damaligen westdeutschen Wirtschaftsleistung. Hellas hat schon jetzt mehr als das Hundertfache erhalten.

Und der Schuldenschnitt? Dem stehen Demontagen, die Amputation eines Viertels von Deutschland und die Enteignung von mindestens 15 Millionen Deutschen in den Ostgebieten und in Osteuropa gegenüber. Wer da wohl den besseren „Schnitt“ gemacht hat? Die Deutschen eher nicht.

Ein anderes untrügliches Zeichen für unfeine Absichten ist es, wenn jemand Geld von Deutschland fordert, damit sich das Ausland nicht mehr vor uns „fürchten“ müsse. Jean Asselborn, Außenminister des Landkreises Luxemburg, will keine „Angst“ vor Deutschland haben, sagt er. Die bekäme er aber, wenn wir uns „isolierten“. Damit meint Herr Asselborn: Wenn wir uns nicht schleunigst der Mehrheit der Nehmerländer im Euro-Raum beugen und für ihre sämtliche Schulden geradestehen.

Das mit den „Ängsten des Auslandes“ ist ein richtiger Evergreen: Wer in einer deutschen Debatte seinen Gegenspieler mit bebender Stimme ankeift, seine Position „schürt alte Ängste vor Deutschland im Ausland“, der hat gewonnen. Mit dem Stich im Blatt kann man jede Diskussion auf die gewünschte schiefe Bahn bugsieren. Alle Sachlichkeit ist dann flöten. Asselborn weiß, wo er zupacken muss.

Überhaupt die Luxemburger. Sie werden nicht müde herauszustreichen, dass sie pro Kopf ja noch viel mehr schultern müssten als die Deutschen: Schaut her, wie selbstlos wir sind! Na ja, andererseits nimmt sich die Euro-Krise auch anders aus, wenn man mehr eine Bank ist als ein Land und daher ziemlich alt aussähe, wenn der Schuldenreigen plötzlich ins Stottern geriete.

Aus anderen Ecken Europas erreichen uns ganz erstaunliche neue Erkenntnisse über die Volkswirtschaft. Der spanische Autor Antonio Muñoz Molina räumt im „Spiegel“ zwar ein, dass sein Land aus eigener Schuld massenhaft überflüssige Wohnungen, Flughäfen oder Bahntrassen gebaut und sich damit in Grund und Boden verschuldet habe, aber: „Die Technologie für diese vollkommen unnötigen Trassen haben uns deutsche und französische Firmen verkauft. Die neuen spanischen Reichen mit Luxuskarossen zu versorgen, war Big Business in Deutschland und Skandinavien.“

Was er uns damit sagen will, ist augenscheinlich: Ihr habt Mitschuld an unserer Misere, weil ihr uns etwas verkauft habt, das wir uns gar nicht leisten konnten, also tragt jetzt auch euren Teil an unserem Desaster. Eine interessante Theorie. Ob die auch umgekehrt funktioniert? Deutsche, die sich mit dem Kauf ihrer spanischen Finca verhoben haben, sollten sich an den spanischen Vorbesitzer wenden. Der hat sie ihnen ja verkauft und trägt daher laut Muñoz Molina Mitschuld am Ruin des sonnenhungrigen Germanen. Wie der Spanier wohl auf eine solche Forderung reagieren würde? Zahlen? Wohl kaum. Eher brächte er seine „alten Ängste vor Deutschland“ zur Sprache oder er würde entgegnen, dass der Teutone die Finca ja mit dem Geld aus dem Marshall-Plan bezahlt habe und jetzt mal ganz still sein solle. Oder er würde, das ist am wahrscheinlichsten, das freche Blassgesicht einfach vom Hof jagen.

Solidarität und Verantwortung fordern oder Solidarität selber üben und Verantwortung übernehmen, das sind halt ganz verschiedene Dinge. Fragen Sie Leute, die für Gewerkschaftsbetriebe gearbeitet haben oder für – Günter Wallraff. Der Enthüllungsjournalist hat sich einen Namen gemacht mit seiner Reportage „Ganz unten“ von 1985. Darin klagte er die brutale Ausbeutung an, der ausländische Werktätige in der BRD ausgesetzt sind.

Jetzt hat Wallraff Ärger, sehr peinlichen dazu. Ein ehemaliger Mitarbeiter beharkt ihn mit dem Vorwurf miesester Ausbeutermethoden. Vier Jahre lang hat André Fahnemann für Wallraff die Korrespondenz gemacht, die Lebensmittel eingekauft, die Hemden gebügelt und was sonst noch so anfällt. Dafür habe er acht Euro pro Stunde bekommen, pro Monat so 300 bis 500 Euro. Zurechtgekommen sei er nur, weil er dazu noch Hartz IV bezogen habe. (Totgearbeitet hat er sich bei den zweieinhalb Stunden am Tag allerdings wohl kaum.) Wallraff habe immer bar auf die Hand gezahlt, keine Steuern, keine Sozialversicherungsbeiträge, nichts.

Wallraff wehrt sich, Fahnemann sei nie richtig bei ihm angestellt gewesen und habe daher nur „gelegentliche Hilfen“ erhalten. Und das soll es besser machen? „Gelegentliche Hilfen“ für regelmäßige Arbeit? Da würde sich ja selbst der T-Shirt-Produzent in Bangladesch schämen! Fürwahr: „Ganz unten“.


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