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11.08.12 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-12 vom 11. August 2012

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Bedenkliche Nähe / Warum wir die Geschichte vergessen müssen, was uns der »Fall Drygalla« alles zeigt, und was man in Erfurt noch alles drauf hat

Es heißt ja, nur wer sich täglich die Geschichte präsent hält, ist gefeit davor, die Verfehlungen der Vergangenheit zu wiederholen. Mag sein. Aber irgendwann muss man auch vergessen können. Wie wollen wir unbeschwert die Gegenwart meistern und die Zukunft gestalten, wenn uns ständig die „Geschichte“ im Wege steht?

Zum Glück ist das mit dem Vergessen schon viel weiter vorangekommen, als wir hoffen mochten, wie der „Fall Drygalla“ zeigt. Stellen Sie sich vor, die Deutschen wüssten noch, welch bedrückende Rolle politischer Bekenntniszwang, Sippenhaft und Denunziation in der Geschichte gespielt haben? Dann würden sie sich derlei Zumutungen mit aller Macht verbitten. Mit schrecklichen Folgen: Denn ohne Sippenhaft, Bekenntniszwang und Denunziation wäre der Instrumentenkasten der politisch korrekten Inquisition praktisch leer!

Wie hätte beispielsweise Nadja Drygalla selbst auf die Attacken reagiert, wenn man ihr in der Schule etwas über die Methoden totalitärer Systeme erzählt und ihr verraten hätte, was rechtsstaatliche von totalitärer Gesinnung unterscheidet? Die 23-Jährige wäre ihren Funktionären an die Gurgel gesprungen und hätte ihnen öffentlich die Leviten gelesen, dass es kracht.

Zu unser aller Erleichterung verschonte die Schule die junge Ruderin mit solch vergiftetem Wissen, weshalb sie ganz brav zu Kreuze kroch. Befriedigt teilte der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, den Medien mit, er und ein weiterer hoher Funktionär hätten „ein ausführliches und intensives Gespräch mit unserem Mannschaftsmitglied geführt. Frau Drygalla hat am Ende unseres Gesprächs (sprich: ihrer Kräfte) erklärt, dass sie das Olympische Dorf verlassen wird ... Der Deutsche Ruderverband begrüßt diese Entscheidung.“ In dem Gespräch habe Drygalla bekräftigt, „dass sie sich zu den Werten der Olympischen Charta und den in der Präambel der DOSB-Satzung niedergelegten Grundsätzen bekennt“. Wunderbar! Das liest sich wie das Protokoll eines erfolgreichen Ermahnungsgesprächs in der Stasi-Akte eines politisch verdächtigen Bürgers der Deutschen Demokratischen Republik.

Das Sündenregister der Bürgerin Drygalla ist lang. Sie stand im Verdacht, mit rechtsextremem Gedankengut zu sympathisieren, weil sie mit einem Freund sympathisiert, der mit solchem Gedankengut sympathisierte. Zudem will eine große deutsche Tageszeitung gehört haben, dass D. „rechtspopulistische Internetseiten“ angeguckt haben soll. Welche das waren, erfahren wir leider nicht. Wir tippen auf die Seite von Markus Söder; der CSU-Politiker hat bekanntlich Hellas auf das Allerrechts­populistischste zum Austritt aus dem Euro ermuntert.

Das ist noch nicht alles: Ihr Freund soll mit D.s Auto zu einer rechtsextremen Veranstaltung gefahren sein. D. behauptet, nicht da gewesen zu sein und nichts davon gewusst zu haben. Der Wagen schweigt zu den Vorwürfen.

In Rostock oder woanders geht angeblich das Gerücht um, dass D. in der Straßenbahn nur zwei Bänke entfernt von jemandem gesessen haben soll, der das neue Buch von Thilo Sarrazin gelesen haben soll. Oder irgendein anderes Druckerzeugnis. Jedenfalls konnte auch hier der Anfangsverdacht der „bedenklichen Nähe“ zu rechtspopulistischem Gedankengut (oder irgendwas anderem) nicht völlig ausgeräumt werden.

Weiter soll aus dem privaten Umfeld der D. durchgesickert sein, dass sie ihren 18. Geburtstag besonders ausgiebig gefeiert haben soll. Die Ziffern eins und acht stehen bei Rechtsextremen für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet: A und H, Adolf Hitler! Noch Fragen? Freunde der D. sollen eingewendet habe, sie hätte sich damals nur so sehr über ihre Volljährigkeit gefreut. Daher die große Party. Ja, ja, halten die uns für blöde? Solche Ausreden können wir in Zeiten erhöhter Wachsamkeit gegen Rechts natürlich nicht akzeptieren.

Daher wird sich der Sportausschuss des Bundestages „aufgrund des aktuellen Falls Drygalla“ („Welt“) auf seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause am 12. September mit der „schleichenden Infiltration“ von Spitzensportlern befassen. Das Vorhaben eines „Gütesiegels“ für vorbildlich gegen Rechts agierende Sportvereine soll dann endlich konkretisiert werden.

Die SPD-Bundestagsfraktion fordert, mehr Geld für die Erforschung und Bekämpfung politischer Auffälligkeiten in den Sportvereinen bereitzustellen. Dem wird sich nach dem „aktuellen Fall Drygalla“ niemand mehr verschließen. (Übrigens: Die magere Medaillenausbeute der Deutschen in London wird auch darauf zurückgeführt, dass deutsche Spitzensportler zu den am schlechtesten bezahlten Spitzenathleten der entwickelten Welt zählen. Das aber nur am Rande.)

Wir dürfen jetzt nicht mehr fackeln. Die Stadt Erfurt geht die Gefahr von Rechts daher mit ganzer Härte an: Personen, die „neonazistischen Organisationen angehören oder der extremen rechten Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch antisemitische, rassistische, menschenverachtende oder nationalistische Äußerungen in Erscheinung getreten sind“, wird der Zutritt zu Museen, Ausstellungen und anderen öffentlichen Kultureinrichtungen generell verwehrt.

Doch was genau ist „antisemitisch“? Die Linkspartei muss sich dauernd mit dem Vorwurf des Antisemitismus herumschlagen, weil sie mit Israel partout nicht warm wird. Und sind Berliner Punks nicht rassistisch, wenn sie gegen Neuberliner aus Schwaben wettern? Ist Sahra Wagenknecht eine „Nationalistin“, weil sie gegen das „internationale Bankenkartell“ wettert?

Müssen die also künftig alle damit rechnen, aus dem Museum oder von einem städtischen „Kultur-Event“ zu fliegen? Ach was! Das Nützliche an solchen Gummiregeln ist ja, dass man sie frei nach Belieben auslegen, also nach Gusto einsetzen und wieder aussetzen kann. Wer echte Willkür will, der macht es exakt so. Beachtlich, was Erfurts Stadtväter nach fast 23 Jahren Pause alles noch drauf haben!

Was „menschenverachtend“ ist, das wissen wir indes ganz genau: der Kapitalismus. Den haben nämlich die Reichen gemacht, weil sie die Armen verachten, also uns. Deshalb kommt uns die Aktion von Verdi, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und Attac gerade recht: „Umfairteilen“ heißt sie, eine Komposition aus „Umverteilen“ und dem englischen Wörtchen „fair“. Witzig. Witzig war auch die Auftaktkundgebung: Da räkelte sich ein „Reicher“ in einer lustig-bunten Frack-Persiflage und Entenfüßen auf einem Haufen von Geldsäcken wie eine Hure beim Freier-Angraben. So schön deftig werden Feindbilder nur in den interessanteren Phasen der Geschichte inszeniert.

Die Initiatorin, Jutta Sundermann von Attac, erklärt, warum sie ans Geld der deutschen Reichen will: „In ganz Europa erleben wir derzeit eine brutale Kürzungspolitik, die zu gravierenden sozialen Verwerfungen führt und den gesellschaftlichen Frieden gefährdet.“

In „ganz Europa“? In Deutschland ist von sozialen Unruhen im Moment nicht viel zu spüren, die Krankenkassen schwimmen in Rücklagen, die Arbeitslosigkeit ist so gering wie seit 20 Jahren nicht und die Gehälter sind zuletzt (real) wenigstens stabil geblieben. Die „Verwerfungen“ sehen wir derzeit allein in Spanien, Griechenland und so weiter.

Aha: Sundermann spricht also nur zur Hälfte von Deutschland, nämlich an der Stelle, wo es ums Zahlen geht. Ausgegeben werden soll das Geld ganz woanders, da, wo die „Verwerfungen“ sind, weil man jahrelang über seine Verhältnisse gelebt und schmerzhafte Reformen wie „Hartz“ lieber den Deutschen überlassen hat. Macht nichts: In Athen stehen gewiss schon die Abgreifer bereit, um das deutsche „Reichengeld“ ganz „fair“ auf dem Markt für Londoner Luxusimmobilien umzuverteilen.


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