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18.08.12 / Mit Wucht gegen die Wand / EU-Fiskalpakt legt finanzpolitische Versäumnisse in Berlin und Brandenburg brutal offen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-12 vom 18. August 2012

Mit Wucht gegen die Wand
EU-Fiskalpakt legt finanzpolitische Versäumnisse in Berlin und Brandenburg brutal offen

Hartz VI für die deutschen Kommunen? Zumindest wenn es nach dem Deutschen Städte- und Gemeindebund geht, wäre dies eine Konsequenz des EU-Fiskalpakts. Der Vertrag könnte allerdings auch Auslöser für eine ganz andere Entwicklung sein – in einigen Bundesländern könnte bald ernsthaft darüber diskutiert werden, ob man sich nicht besser von der Bundesrepublik lossagen sollte.

Eine „Agenda 2010“, ein totaler Umbau des Sozialstaats, um dem Schuldenstaat zu entkommen – nichts anderes ist es, was vom Deutschen Städte- und Gemeindebund nun zur Dis­kussion gestellt worden ist. Nach der Verabschiedung des Fiskalpakts und der damit bevorstehenden „Superschuldenbremse für Bund, Länder und Gemeinden“ wolle er nicht zur Tagesordnung übergehen, so Verbandspräsident Roland Schäfer. Die Forderung könnte ein Vorgeschmack darauf sein, was Deutschland in den kommenden Jahren bevorsteht.

Bisher wird der EU-Fiskalpakt von vielen Deutschen nur als Instrument gesehen, um den Südeuropäern das Schuldenmachen auszutreiben. Ob dieses Vorhaben gelingen wird, ist zweifelhaft: Allein die spanischen Regionen und Kommunen bergen nach Berechnungen der Stiftung „Open Europe“ unbezahlte Rechnungen von 105 Milliarden Euro in den Schubladen, die bisher nicht in den Statistiken aufgetaucht sind. Ob sich an der weitverbreiteten Praxis mit dem EU-Fiskal-pakt künftig etwas ändert, ist keineswegs eine ausgemachte Sache.

Ohne dass es die meisten Deutschen ahnen, wird der Pakt aber auch für sie selbst drastische Konsequenzen haben. So hat es gute Gründe, dass nun die deutschen Kommunen vor den Folgen des Vertrages warnen. Vielen Städten und Gemeinden steht das Wasser finanziell bis zum Hals. Kommt der   Fiskalpakt wie vorgesehen, dann wird der bisher oft gewählte Ausweg – neue Schulden – schon ab 2014 nicht mehr offenstehen.

Die bereits 2009 vereinbarte nationale „Schuldenbremse“ sah ein Verbot von weiteren Krediten der Bundesländer erst ab 2020 vor. Das Schuldenverbot wird durch den Fiskalpakt nun auf 2014 vorgezogen. Da so kaum noch eine Übergangszeit bleibt, kommt das Vorhaben einer finanzpolitischen Vollbremsung gleich. In den neuen Bundesländern laufen zusätzlich bis 2020 schrittweise die Zahlungen des Solidarpaktes II aus. Über allem schwebt obendrein die angekündigte Klage Bayerns gegen den Länderfinanzausgleich.

Was da auf die Länder und Kommunen konkret zukommt, wird mit Blick auf Brandenburg deutlich: Aktuell hat der Landeshaushalt ein Volumen von etwas mehr als zehn Milliarden Euro. Ein sofortiges Wegfallen von Solidar-pakt II und Länderfinanzausgleich bei einem gleichzeitigen Neuschulden-Verbot würden ein Loch von 2,2 Milliarden Euro in den Etat reißen.

Und das, nachdem in den vergangenen Jahren bereits massiv der Rotstift regiert hat: Brandenburgs Hochschulen gelten als chronisch unterfinanziert. Die Auswirkungen der Polizeireform haben viele Bürger durch steigende Kriminalitätszahlen zu spüren bekommen. Welche Folgen es hätte, wenn der Landeshaushalt nach den bisherigen Sparrunden noch einmal um mehr als zwei Milliarden zusammengestrichen werden müsste, ist leicht vorstellbar: Investitionen in die Infrastruktur würden unterbleiben, ohnehin angeschlagene Kommunen wie etwa Cottbus gerieten vollständig unter die Räder.

Noch Dramatischeres droht Berlin. Hier ist die Steuerkraft geringer als in Brandenburg, dafür hängt die Stadt mit Zuwendungen von über drei Milliarden Euro weit stärker am Tropf des Finanzausgleichs und greift erheblich massiver aufs Schuldenmachen zurück. Allein für 2012 sind 915 Millionen Euro Neukredite geplant. Zum Weiterbestand des Länderfinanzausgleichs gibt man sich in Berlin siegesgewiss: Das Grundgesetz-Versprechen gleicher Lebensverhältnisse sieht man quasi als Ewigkeitsgarantie für Dauertransfers.

Dass Bayern mit seiner Klage in Karlsruhe scheitert, ist in der Tat wahrscheinlich. Langfristig könnte eine solche Entscheidung allerdings Folgen haben, die vielen heute noch undenkbar erscheinen. Niemand anders als Wilfried Scharnagl, ein langjähriger Vertrauter von Franz Josef Strauß und Vorstandsmitglied der Hanns-Seidel-Stiftung der CSU, hat in einem Interview mit dem „Focus“ angedeutet, wohin die Entwicklung gehen könnte: „Es ist Zeit für das große bayerische Aufbegehren.“ Ein eigenständiges Bayern, losgelöst von der Bundesrepublik, ist es, wofür sich Scharnagl ausspricht.

Der Hang zum Separatismus ist im Freistaat auch in den Jahrzehnten der Bundesrepublik nie ganz verschwunden. Selbst heute noch dürfte den meisten Bayern zum Stichwort Hauptstadt erst einmal München und nicht Berlin einfallen. Spätestens im Jahr 2014, wenn die geplanten Volksabstimmungen zur Selbstständigkeit von Katalonien und Schottland auf der Tagesordnung stehen und Bayern weiterhin als Hauptzahler des innerdeutschen Finanzausgleichs zur Kasse gebeten wird, dürfte eine entsprechende Stimmung in Bayern aufflammen. Vermieden werden könnte eine solche Zuspitzung und die absehbare finanzielle Schieflage vieler Bundesländer in den kommenden Jahren durch eine Wiederherstellung eines echten Föderalismus: Gekappte Dauertransfers von außen im Gegenzug für weitgehende eigene Kompetenzen der Länder im Steuerrecht. Ein Blick in die Schweiz beweist, dass ein solches System über Jahrhunderte funktioniert, ohne dass der Ruf nach Separatismus aufkommt. Norman Hanert


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