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18.08.12 / »Niederlage polnischer Diplomatie« / Außenministerium der Republik Polen verbreitet kostenlos Buch über polnischen Antisemitismus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-12 vom 18. August 2012

»Niederlage polnischer Diplomatie«
Außenministerium der Republik Polen verbreitet kostenlos Buch über polnischen Antisemitismus

Über die polnischen Botschaften in aller Welt propagiert das Außenministerium in Warschau seit einigen Wochen ein Buch, das die Teilnahme und Bereicherung ganz normaler Polen an der Judenvernichtung während des Zweiten Weltkriegs thematisiert. Nationalkonservative Historiker und Medien schäumen und sehen den guten Namen Polens beschädigt. Das von der liberal-konservativen „Bürgerplattform“ (PO) geführte Ministerium wies die Attacke des PiS-Lagers zurück und verteidigt die Thematisierung polnischer Plünderung jüdischen Besitzes.

Eigentlich sind die Thesen des auf Englisch übersetzten Buches nicht neu: „Inferno of Choices. Poles and the Holocaust“ („Die Hölle der Wahl. Polen und der Holocaust“) ist seit 10. Juli als PDF über die Netzseiten der polnischen diplomatischen Auslandsvertretungen herunterzuladen, so beispielsweise über die Botschaft der Republik Polen in Berlin. Die 416 Seiten starke Schrift enthält eine umfangreiche Zusammenstellung von Quellen aus der Zeit der Besatzung Polens durch die deutsche Wehrmacht sowie ein gutes halbes Dutzend Aufsätze bekannter polnischer Historiker, darunter der frühere polnische Außenminister Władysław Bartoszewski. Dominierendes Thema der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist der polnische Antisemitismus, die Kollaboration mit den Besatzern, die Ausnutzung der Rechtlosigkeit der jüdischen Bevölkerung durch die polnische Mehrheitsgesellschaft, Verrat, Erpressung, Plünderung. Ein Aufsatz spricht von der organisierten „Plünderungsindustrie“, ein anderer sammelt Briefe, in denen Polen ihre Mitbürger bei den deutschen Behörden in Warschau denunzierten („Lieber Herr Gestapo“), ein weiterer behandelt die „Hilfe gegen Geld“, die „bezahlte Helfer in Polen“ bedrängten Juden gewährten und vielfach abrupt einstellten, wenn dem Betroffenen der letzte Złoty abgepresst war; aber auch die organisierte und individuelle Hilfe sowie gelebte Mitmenschlichkeit unter Todesgefahr wird dargestellt, beispielsweise die „Aktion Zegota“ der polnischen Exilregierung, die vielen Zehntausenden Juden das Leben rettete.

Das schwierige, so nahe und doch so ferne polnisch-jüdische Verhältnis während des Krieges ist für die polnische Öffentlichkeit indessen nicht neu, und nach der Befreiung vom kommunistischen Regime, das dieses dunkle Kapitel neuerer polnischer Geschichte komplett tabuisierte, sind viele Publikationen zum Thema erschienen. Der verstorbene Schrift­steller Andrzej Szczypiorski beschrieb in seinem Roman „Der Anfang“, der 1988 in Deutschland unter dem Titel „Die schöne Frau Seidenman“ erschien, jene Polen, die während des Krieges sich versteckende Juden und ihnen helfende Landsleute erpress­ten und, falls diese nicht zahlen konnten, an die Deutschen verrieten.

Zweifellos am deutlichsten kratzte der polnisch-jüdischstämmige US-Historiker Jan Tomasz Gross am Selbstbild Polens der ewigen Opfernation, die stets nur „für eure und unsere Freiheit“ gekämpft und gelitten hat. Sein Buch „Nachbarn“ von 2001 brach ein Tabu und reizte die nationalkonservative Rechte bis aufs Blut: Gross schilderte, wie 1941 die einheimischen Polen des Dorfes Jedwabne unter den Augen der deutschen Besatzer bis zu 400 Juden am helllichten Tage zusammentrieben und ermordeten, die meisten in einer Scheune lebendig verbrannten. „Jedwabne war kein Einzelfall, im ganzen Land gab es solche Vorfälle“, so Gross. Weitere Bücher thematisierten den „Antisemitismus in Polen nach Auschwitz“ und brachten die sorgsam beschwiegenen Nachkriegspogrome ins Bewusstsein („Verbreitete Überzeugung, dass man die Juden loswerden müsse. Darum haben die Polen in den ersten Nachkriegsjahren die ethnische Säuberung, die Hitler begonnen hatte, zu Ende gebracht“), die dem in Princeton lehrenden Historiker zufolge noch einmal anderthalb Tausend Juden das Leben kosteten.

Als der „Spiegel“ im Mai 2009 vor dem Hintergrund des Demjanuk-Prozesses sich mit der Kollaboration in den von den Deutschen besetzten Staaten befasste, löste dies an der Weichsel einen Aufschrei der Empörung aus. Gross’ letztes 2011 erschienenes Buch „Goldene Ernte“ handelte jedoch genau davon: von der Verfolgung, Ermordung, Ausplünderung und Austreibung von Juden durch Polen während und nach dem Krieg. Aus Warschau kamen wütende Proteste, die Feuilletons kannten monatelang kein anderes Thema.

Spannender also als die eigentlich bekannten Sachverhalte könnte aktuell sein, wer hinter den Kulissen gegen wen kämpft. Das Außenministerium unter der Leitung von Radosław Sikorski (PO) verteidigte die Publikation des Wälzers: Das Buch beschreibe redlich die Bedingungen, unter denen die Nationalsozialisten den Holocaust in Polen organisierten. Darum bereichere es „das Wissen vieler Ausländer über die polnische Geschichte“, sagte ein Sprecher der Presse. Die konservative, der Ka­czynski-Partei PiS nahestehende Zeitung „Rzeczpospolita“ fragt unterdessen nicht ohne Grund, warum das Ministerium des Auswärtigen eine Schrift verbreite, die das „Stereotyp der Polen als Antisemiten und Plünderer jüdischen Eigentums“ im Ausland bestätige, anstatt ein positives Bild von Polen und dessen Leistungen zu propagieren. Sogar die linksliberale „Gazeta wyborcza“ zeigte sich verwundert, dass „an das Bild von Polen als engelsgleicher Gemeinschaft reiner Altruisten“ im Ausland ohnehin niemand glaube und fragt: „Wie sollte die polnische Regierung im Ausland über die polnisch-jüdischen Beziehungen während des Krieges sprechen?“

Die „Rzeczpospolita“ spricht von einer „Niederlage der polnischen Diplomatie“ – ein Pfeil, der über Sikorski hinaus auf Ministerpräsident Tusk zielt. In Sachen Geschichtspolitik solle man von den Deutschen lernen. Deren „konsequente Kampagne“ habe bewirkt, dass niemand von „deutschen“ Vernichtungslagern spreche, sondern nurmehr von den herkunfts- und staatenlosen „Nazis“. Und das weltbekannte Symbol eines Judenretters sei der Deutsche Oskar Schindler, der im deutschbesetzten Krakau doch eigentlich Geschäfte habe machen wollen, jedoch nicht Irena Sendler, welche die Kinder-Sektion der „Aktion Zegota“ leitete und von Yad Vashem mit dem Titel „Gerechte unter den Völkern“ geehrt wurde – wie 6003 polnische Bürger neben ihr.       Christian Rudolf


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