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18.08.12 / Preußisch, national und sozialdemokratisch / Kurt Schumacher: Die erfolglose SPD-Alternative zum »Bundeskanzler der Alliierten« am Beginn der Bundesrepublik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-12 vom 18. August 2012

Preußisch, national und sozialdemokratisch
Kurt Schumacher: Die erfolglose SPD-Alternative zum »Bundeskanzler der Alliierten« am Beginn der Bundesrepublik

Zu Beginn der Bundesrepublik war Kurt Schumacher als Spitzenkandidat der SPD deren Alternativvorschlag zu Konrad Adenauer, dem er vorwarf, der „Bundeskanzler der Alliierten“ zu sein. Vor 60 Jahren starb dieser vielleicht preußischste und patriotischste aller SPD-Vorsitzenden.

Während Adenauer analog zu Walter Ulbricht die Bindung an die Besatzer über die Einheit stellte, erstrebte Schumacher ein unabhängiges Gesamtdeutschland; während Adenauer derart katholisch war, dass ihm vorgeworfen wurde, die Wiedervereinigung alleine deshalb schon nicht zu wollen, weil dann seine Glaubensgemeinschaft die Mehrheit im Staate verlöre, war Schumacher protestantisch; und während Adenauer die Loslösung seiner Heimat vom ostelbischen Preußen – vielleicht sogar vom Deutschen Reich – erstrebte, war Schumacher als Westpreuße ein Bestandteil eben dieses ostelbischen Preußen.

In der tiefsten preußischen Provinz, in der zwischen Graudenz und Thorn an der Weichsel gelegenen westpreußischen Kleinstadt Kulm kam der erste (westdeutsche) Nachkriegsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 13. Oktober 1895 zur Welt. Der Sozialdemokrat verschwieg nie, dass er „einer ostdeutschen Bürgerfamilie“ entstammte. Seine Eltern gehörten zu den wohlhabenden Bürgern und damit zur städtischen Elite Kulms. Der Vater war Anhänger der liberalen „Deutschen Freisinnigen Partei“, Stadtverordneter und ein sehr erfolgreicher Kaufmann.

Als geborenem Preußen gingen Kurt Schumacher durch seine häusliche und schulische Erziehung Begriffe wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Aufrichtigkeit und Höflichkeit in Fleisch und Blut über. Zeitlebens hielt Schumacher in preußischem Pflichtgefühl alle Termine auf die Minute exakt ein. Sein eher für einen Preußen denn für einen Sozialdemokraten typisches positives Staatsverständnis zeigt sich nicht zuletzt in seinem Promotionsthema: Der Kampf um den Staatsgedanken in der deutschen Sozialdemokratie.

Als Jugendlicher las der intelligente, wissensdurstige Bürgersohn für Menschen seines Alters ziemlich ungewöhnliche Presseorgane wie Eduard Bernsteins Zeitschrift „Sozialistische Monatshefte“. Der sozialistische Denker Eduard Bernstein war bei den orthodoxen Marxisten als „Revisionist“ verschrien. Die geistige Ausrichtung an Bernstein bewahrte Schumacher davor, sich am orthodoxen Marxismus oder später gar am Leninismus oder Stalinismus zu orientieren. Trotz seiner frühen Schwärmerei für die Sozialdemokratie bewahrte sich der junge Gymnasiast seinen Patriotismus.

Während sein späterer Konkurrent Adenauer stets stolz darauf war, nie eine Uniform getragen zu haben, meldete sich Schumacher, als der Erste Weltkrieg ausbrach, unverzüglich als Kriegsfreiwilliger, um seine westpreußische Heimat gegen die Russen zu verteidigen. Nach kurzem Felddienst wurde der junge Soldat in Russisch-Polen am 2. Dezember 1914 bei einem Angriff gleich mehrfach durch Artillerie- und Maschinengewehrfeuer schwer verwundet. Der von Maschinengewehrkugeln zerfetzte rechte Arm musste amputiert werden und auch das rechte Bein erwies sich als schwer angeschlagen.

Doch der 19-jährige Kriegskrüppel verlor nach seiner Entlassung aus der preußischen Armee wegen Kriegsuntauglichkeit im Jahre 1915 nicht seinen Lebensmut. Ausgezeichnet mit den Eisernen Kreuz 2. Klasse begann er ein Studium der Staats- und Rechtswissenschaften an den Universitäten Halle, Leipzig und Berlin. Typisch Preuße, wollte er nach dem Studium Staatsdiener werden. Deshalb leistete er sein Referendariat am Amtsgericht seiner Heimatstadt Kulm ab. Dort erlebte er das Kriegsende und den anschließenden von den Ententemächten gegen den Widerstand großer Teile der Provinzbevölkerung erzwungenen Übergang des größten Teiles seiner Heimatprovinz an die neu geschaffene Republik Polen. Teile der deutschen Bevölkerung Kulms, darunter auch Schumachers Familie, siedelten daraufhin völlig verarmt 1920 nach den dem Deutschen Reich verbliebenen Gebieten über. Im Gegensatz zu Adenauer oder Brandt waren deshalb die preußischen Gebiete jenseits von Oder und Neiße für Schumacher nicht „Sibirien“ oder „Polen“, sondern blieben für ihn auch nach 1945 immer Teile seiner geliebten deutschen Heimat.

Weil er Geld für die verarmt ins Reich übergesiedelten Eltern verdienen musste, arbeitete er ab dem 1. Dezember 1920 hauptamtlich für die in Stuttgart erscheinende sozialdemokratische Zeitung „Schwäbische Tagwacht“ als Redakteur. Ab 1930 saß er auch im Reichstag, wo er am 23. Februar 1932 durch ein heftiges Rededuell mit Joseph Goebbels Aufsehen erregte. Jener hatte die Sozialdemokraten an eben jenem Tage als „Partei der Deserteure“ bezeichnet. Der kriegsversehrte Schumacher bewies in einer donnernden Replik darauf, dass 73 Prozent der Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion im Weltkrieg an der Front gekämpft hatten und fragte anzüglich, wie viele Tage eigentlich Goebbels an der Front verbracht habe, von dem bekannt war, dass er wegen seiner Behinderung ausgemustert worden war. Mit dieser Antwortrede handelte sich der Sozialdemokrat die Todfeindschaft der Nationalsozialisten ein. So saß Schumacher nach der na­tio­nal­sozialistischen „Macht­er­grei­fung“ bis zum Ende der NS-Herrschaft 1945 in den verschiedensten Konzentrationslagern ein. Dabei hielt er im Gegensatz zu manch anderem nichtkommunistischen KZ-Häftling stets Abstand zu den ebenfalls einsitzenden Kommunisten, die er für das Scheitern der Weimarer Republik mitverantwortlich machte.

Das Kriegsende erlebte er in Hannover, das der britischen Besatzungszone zugeschlagen wurde. Dort machte sich Kurt Schumacher, der sich seinen eisernen Willen und seine politischen Überzeugungen auch gegenüber Pressionen der Besatzungsmacht bewahrte, unverzüglich an den Neuaufbau der deutschen Sozialdemokratie. Von 1946 bis zu seinem Tod am 20. August 1952 in Bonn sollte Kurt Schumacher als Vorsitzender der SPD wirken. Er wurde zum großen politischen Gegenspieler Konrad Adenauers und er bewahrte sich seine unverbrüchliche Ablehnung aller Kommunisten, vor allem wegen ihrer Gewaltbereitschaft und ideologischen Fernsteuerung aus Moskau.

Die Jahre im KZ hatten Schumachers Gesundheit stark untergraben, zudem war Schumacher Kettenraucher. 1948 musste ihm auch das linke Bein amputiert werden. Ungeachtet seiner schweren Körperbehinderung oder vielleicht gerade deshalb blieb Schumacher das Gewissen der deutschen Nation.

Auf dem Stadtfriedhof in Hannover-Ricklingen ist Kurt Schumacher in einem Ehrengrab beigesetzt. Von ihm stammt ein Wort, das nicht nur seinen  heutigen Parteigenossen ins Stammbuch geschrieben sei: „Es ist unmöglich, ein Volk im Zustand der Zerknirschung über die Sünden eines nicht mehr existierenden Systems zu halten. Man kann nicht von falschen Kollektiv-Urteilen ausgehen und die Demokratie für die Sünden der Diktatur büßen lassen.“ Jürgen W. Schmidt


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