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18.08.12 / Niedergang, aber nicht Untergang / Historiker geht der Frage nach, welche Rolle Europa zukünftig in der Weltpolitik spielt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-12 vom 18. August 2012

Niedergang, aber nicht Untergang
Historiker geht der Frage nach, welche Rolle Europa zukünftig in der Weltpolitik spielt

„Der Niedergang Europas ist unausweichlich.“ Dies ist eine der Kernaussagen des Historikers Walter Laqueur in seinem neuen, 336 Seiten starken Buch „Europa nach dem Fall“, in dem es um die Zukunft Europas geht. Nach seinen faszinierenden Büchern „Die letzten Tage von Europa“ und „Mein 20. Jahrhundert“ setzt er seine messerscharfe Analyse von Geschichte, Gegenwart und Zukunft Europas fort. Seine Schlussfolgerungen sind bestechend.

Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, die ihren Anfang 2008 in den USA genommen hat, hat für Europa einen verhängnisvollen Effekt: Die globale Entwicklung wurde „verschlafen“. In den letzten Jahren hat sich das Schwergewicht der Weltpolitik vom Atlantik in den asiatisch-pazifischen Raum verschoben. Dort findet auch der Wettstreit zwischen den Großmächten China, Indien und den Vereinigten Staaten statt. Dazu kommt der Aufstieg von Schwellenländern wie Brasilien und Indonesien.

Laqueur geht den Ursachen auf den Grund, warum Europa von einer solchen starken Position weit entfernt ist. Die besonders von Deutschland und Frankreich angestrebte „tiefe Integration“ der Euro-Gruppe hat de facto zu einer Spaltung und Lähmung einer gemeinsam abgestimmten Politik Gesamteuropas geführt.

Ein Bündel von ineinandergreifenden, eng verwobenen Faktoren zeige die Komplexität der Probleme auf. Die für Europa überwiegend negative demografische Entwicklung mit der Überalterung der Bevölkerung und dem Rückgang der Erwerbstätigen belaste die Sozial- und Gesundheitssysteme. Die unterschiedliche demografische Entwicklung der „einheimischen“ Bevölkerung und der Menschen mit Migrationshintergrund – häufig muslimischen Glaubens – führe zu einer schleichenden Islamisierung. Die häufig unzulängliche Beherrschung der jeweiligen Landessprache durch die Schüler mit Migrationshintergrund – und auch der Eltern – erschwere Fortschritte in deren Bildung und Erziehung – ein wesentlicher Schlüssel für schulisches und berufliches Fortkommen. Hinzukämen „Ghettoisierung“ und die Bildung von Parallelgesellschaften.

Mit der Reduzierung des US-Engagements – auch des militärischen – in Europa wären die Europäer an sich gezwungen, ihre eigenen sicherheitspolitischen Anstrengungen zu erhöhen. So müssten sie ihre Verteidigungshaushalte auf mindestens zwei Prozent des Bruttosozialproduktes steigern. Dazu fehlen den „postheroischen europäischen Zivilgesellschaften“ der politische „Wille zur Macht“ und – als Folge der Euro-Krise – die notwendigen Ressourcen. „Zudem wird in Europa Verteidigung häufig als Synonym für vorbeugende Diplomatie gesehen. Eine effektive Verteidigungsbereitschaft der EU existiert nicht“, so Walter Laqueur.

Der Trost, den Laqueur für uns Europäer hat, verursacht einen sehr bitteren Beigeschmack. Für ihn heißt Niedergang nicht Untergang. Als Historiker kennt er die Geschichte des Aufstiegs und des Falls von Staaten. Für ihn gibt es auch ein befriedigendes Leben in der zweiten oder dritten Reihe. Es muss für ihn nicht die Champions League sein. Nach einem Abstieg kann es auch wieder einen Aufstieg geben. Für Europa ist der allerdings auf absehbare Zeit nicht in Sicht.

Das Buch „Europa nach dem Fall“ ist keine leichte Kost und besänftigt den Leser nicht mit den Phrasen politischer Relativierung und dem leeren Versprechen: Alles wird wieder gut. Laqueur öffnet den Blick auf die globalen und nationalen Verflechtungen und Abhängigkeiten, die eine schnelle und leichte Lösung verhindern. Ob die derzeitige „politische Klasse“ in Europa die Kraft aufbringt, die notwendige Änderung politischer Prioritäten durchzuführen, ist in den Augen des Autors mehr als fraglich. Sie wirkt überfordert, wie das Missmanagement der Euro-Krise zeige, das sogar die westliche demokratische Kultur gefährdet. Für Laqueur ist der Verlust des Selbstvertrauens der Europäer eine wesentliche Ursache für den Niedergang, deren Entstehen er im Ersten Weltkrieg sieht.  Dieter Farwick

Walter Laqueur: „Europa nach dem Fall“, Herbig-Verlag, München 2012, gebunden, 384 Seiten, 24,99 Euro


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