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25.08.12 / »Quelle der Spaltung ist die Sünde« / Historisches Treffen zwischen russisch-orthodoxem Patriarchen und der polnischen katholischen Kirche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-12 vom 25. August 2012

»Quelle der Spaltung ist die Sünde«
Historisches Treffen zwischen russisch-orthodoxem Patriarchen und der polnischen katholischen Kirche

Am vergangenen Sonntag ist in Warschau die viertägige Polen-Visite des Patriarchen Kyrill zu Ende gegangen. Der Besuch des Oberhaupts der Russisch-Orthodoxen Kirche kann nicht anders als historisch genannt werden. Polnische Offizielle lobten die Chance für eine Verbesserung der polnisch-russischen Beziehungen, die Presse beider Länder widmete dem Besuch breite Berichterstattung und Papst Benedikt XVI. erfüllt der Besuch Kyrills mit „Hoffnung für die Zukunft“.

Es war der erste Besuch eines russischen Patriarchen in Polen überhaupt. Kyrills Vorgänger im Amt war zwar vom polnischen Primas Kardinal Józef Glemp eingeladen worden, doch obwohl Alexej II. nie absagte, kam der Besuch nicht zustande. Kyrill I. reiste nun auf Einladung der eigenständigen polnisch-orthodoxen Kirche in das Land an Weichsel, Bug und Warthe, das ein traditionell schwieriges Verhältnis zu dem russischen Riesenreich im Osten hat. Höhepunkt der Visite war die am vorletzten Freitag erfolgte Unterzeichnung einer gemeinsamen Versöhnungserklärung mit der katholischen Kirche Polens. Und es war dieses einmalige Dokument, das die Visite, die formal der Seelsorge an den orthodoxen Glaubensbrüdern in Ostpolen galt, sogleich in einen größeren Zusammenhang stellte und als Schritt hin zu einer Annäherung mit der katholischen Weltkirche bewertet wurde.

Doch der Besuch, der am vorletzten Donnerstag begann – russische Medien unterstrichen, dass das Oberhaupt der russischen Orthodoxie mit Ehren begrüßt wurde, die nur wenig unterhalb eines präsidialen Empfangs standen –, sollte nicht politisch sein. „Wenn wir unsere Initiative mit der katholischen Kirche in den politischen Kontext des frühen 21. Jahrhunderts stellen, begehen wir einen großen Fehler“, warnte Kyrill bereits im Vorfeld.

Die „Gemeinsame Botschaft an die Völker Russlands und Polens“, deren Inhalt bis zuletzt geheim gehalten worden war, wurde indessen nicht in kirchlichen Räumen, sondern auf dem noch zu Zeiten der kommunistischen Volksrepublik wiedererrichteten Warschauer Königsschloss in Anwesenheit des Sejm-Präsidenten, mehrerer Parlamentarier und Minister sowie des Apostolischen Nuntius unterzeichnet. Der Vorsitzende des polnischen Episkopats, Erzbischof Józef Michalik, der für die katholische Seite unterschrieb, sagte, das Dokument diene „nicht der Reklame noch dem öffentlichen Erfolg“: „Es ist ein seelsorgerliches Dokument.“

In der Erklärung rufen beide Kirchen ihre Gläubigen auf, „um die Vergebung des Leids, der Ungerechtigkeiten und alles Bösen zu bitten, das einander zugefügt wurde“.

Beide „Brudervölker“ verbinde das „christliche Kulturerbe des Ostens und des Westens“, die gemeinsame Erfahrung des Zweiten Weltkrieges sowie die Unterdrückung durch „totalitäre Regime, die, orientiert an einer atheistischen Ideologie, jegliche Religiosität bekämpften“. Gegen noch immer vorhandene gegenseitige Abneigungen aufgrund „unserer oft tragischen Geschichte“ empfehlen die Geistlichen beider Konfessionen, sich mit den Fakten objektiv bekanntzumachen. Dauerhafte Versöhnung könne es nur auf Grundlage der vollen Wahrheit geben, heißt es in der Erklärung – ein väterlicher Wink, Mythen und Stereotype bei der Bewertung der für beide Völker schmerzlichen Ereignisse zu überwinden: „denn das gebietet unser Glaube“. Erst kurz vor dem historischen Besuch hatte Erzbischof Michalik im Falle des Flugzeugabsturzes von Smolensk 2010 die Anschlagsthese zurückgewiesen: In einem Interwiev sagte er, man solle sich hier „auf Tatsachen und nicht auf Theorien“ stützen – ein klares Abrücken der Kirche von Verschwörungsvorwürfen an Russland, die von der nationalkonservativen Opposition Polens mit Hingabe gepflegt werden. Die politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern sind bis heute belastet wegen des sowjetischen Angriffs auf Polen im September 1939, der Ausrottung der militärischen Elite in Katyn durch NKWD-Mordkommandos sowie das Polen aufgezwungene kommunistische Regime. Für den Tod Tausender sowjetischer Kriegsgefangener zu Beginn der 20er Jahre machen russische Historiker wiederum Warschau verantwortlich. In einer Ansprache verdeutlichte der Patriarch, dass „die Sünde die Hauptquelle jeglicher Spaltungen auch zwischen den Völkern ist“.

Klare Worte auch im dritten Teil der Erklärung: Abtreibung und Euthanasie als Schande der modernen Zivilisation. Ehe und Familie als von Gott gegebene Institution und Grundlage jeder Gesellschaft, die des staatlichen Schutzes bedarf.

Bereits am Sonnabend begab sich Kyrill I. auf Pilgerfahrt zu den Siedlungsschwerpunkten der Orthodoxen in der ostpolnischen Woi­wodschaft Podlachien. Am Sonntag, beim geistlichen Höhepunkt der Hirtenreise und in Anwesenheit von Erzbischof Michalik, führte der Patriarch Moskaus und ganz Russlands am Berg Grabarka den wichtigsten orthodoxen Wallfahrtsgottesdienst in Polen an. Der den Gläubigen heilige Ort ist für die Orthodoxen vergleichbar wichtig wie Tschenstochau für die Katholiken.

In seiner Predigt warnte Kyrill eindringlich vor einer säkularen Gesellschaft. „Ihr in Polen, wir in Russland, in der früheren UdSSR, wir wissen, was das heißt, Staat und Gemeinschaft ohne Gott zu bauen. Wir haben eine einzigartige Erfahrung und wissen, dass sich dieser Bau später gegen den Menschen selbst wendet“, sagte er vor bis zu 14000 Gläubigen aus Anlass des Festes der Verklärung Christi auf dem Berg Tabor. Das Oberhaupt der polnischen Orthodoxen, Metropolit Sawa, rief zu gemeinsamen Anstrengungen auf und unterstrich, dass die Probleme der heutigen Welt das gemeinsame Zeugnis der orthodoxen und katholischen Christen bräuchten. Nach örtlicher Sitte stellte Kyrill ein Votivkreuz am Berg auf.

Eine großherzige Geste auch am Schluss. Unmittelbar vor seinem Rückflug besuchte der Patriarch das wohl wichtigste weltliche Heiligtum der Polen: Am Grab des Unbekannten Soldaten auf dem Warschauer Piłsudski-Platz legte er einen Kranz nieder. CR


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