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25.08.12 / Als ich Erich Honecker ganz nah kam

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-12 vom 25. August 2012

Als ich Erich Honecker ganz nah kam

Einmal bin ich Erich Honecker ganz nah gekommen. Es war Ende Juni 1979. Der Schriftsteller Klaus Schlesinger war gerade mit Stefan Heym und anderen aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen worden wegen eines Offenen Briefes an den damaligen SED-Parteichef und Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, in dem sie die Zensurpraktiken im Arbeiter- und Bauernstaat kritisierten. Bettina Wegner, die Frau von Klaus Schlesinger, hatte mich angerufen und gebeten, dass ich sofort zu ihnen kommen sollte. Fast alle ausgeschlossenen Schriftsteller befanden sich bei Schlesingers, um zu beraten, wie es weiter gehen sollte. Ich koordinierte damals die Solidaritätsbekundungen der Leser mit den Geschassten.

Als ich mich dem Hauseingang in der Leipziger Straße näherte, fuhr eine schwarze Staatskarosse dicht an mir vorbei und hielt am Straßenrand vor Schlesingers Haus. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, dass Erich Honecker diesem Auto entstieg. Er war klein, grau. Hielt eine Tüte bunter Bonbons wie einen Fremdkörper am abgespreizten Arm und blickte sichtlich verunsichert die Fassade hoch. Ich war schockiert. Diese unsichere graue Maus war der absolute Herrscher über unser Schicksal?

Honeckers Auftauchen überraschte mich nicht. Ich wusste, dass er und andere Politbüromitglieder nach der Biermann-Affäre persönlich protestierende Schriftsteller wie Christa Wolf besucht und wieder auf Linie gebracht hatten.

Als wir uns im Fahrstuhl begegneten, fragte ich ihn: „Sie wollen doch auch zu Schlesingers?“ Er zuckte zusammen. „Nein, ich will meinen Enkel besuchen.“

Bei Schlesingers war die Aufregung groß, als ich erzählte, mit wem ich gerade Fahrstuhl gefahren war. Alles stürzte auf den Balkon, um die Staatskarosse zu sehen.

Diesmal gab es keine persönlichen Besuche bei den aufmüpfigen Schriftstellern. Klaus Schlesinger verließ bald darauf die DDR in Richtung Westen, andere Unterzeichner ebenfalls. Das war das endgültige Ende der von Honecker eingeleiteten Liberalisierung der Kulturpolitik. Von nun an galt: Wer sich nicht fügte, wurde ausgegrenzt. V.L.


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