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01.09.12 / Der Tod als Triebfeder der Kultur / Das musealisierte Lebensende ist 20 geworden – Sepulkralkultur in Kassel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-12 vom 01. September 2012

Der Tod als Triebfeder der Kultur
Das musealisierte Lebensende ist 20 geworden – Sepulkralkultur in Kassel

Dem Tod als festem Bestandteil des menschlichen Lebens wurde vor 20 Jahren in Kassel ein Museum gewidmet. Anlässlich dieses Jubiläums eröffnet das weltweit bedeutendste Museum seiner Art eine Sonderausstellung.

Der evangelische Theologe Reiner Sörries glaubt: „Es gibt nur zwei große Triebfedern der Kultur: das sind die Liebe und der Tod, Eros und Thanatos. Beide treiben den Menschen vor sich her, der ohne sie nicht wäre, was er ist.“ Er bedauert, dass bislang noch kein Museum der Liebes­kultur eröffnet wurde – Erotikmuseen lässt er nicht gelten. Dagegen gibt es Institute, die den Tod musealisieren. Der weltweit bedeutendsten dieser Einrichtungen steht Sörries seit der Eröffnung 1992 als Direktor vor: dem Kasseler Museum für Sepulkralkultur.

Als das Unikum vor 20 Jahren eröffnet wurde, titelte die örtliche Tageszeitung: „Totenmuseum am Kasseler Weinberg eröffnet.“ Der 1952 in Nürnberg geborene Sörries denkt mit Grausen an diese Schlagzeile zurück. Denn erstens gibt es bis auf zwei bemalte Totenschädel (Süddeutschland, 19. Jahrhundert) keine realen sterblichen Überreste zu sehen. Und zweitens ist das Museum eine quicklebendige Einrichtung. Pressesprecherin Jutta Lange berichtet: „Eine Geburt gab es bei uns zwar noch nicht, aber wir haben Gäste aus allen Altersstufen. Zweijährige sind darunter – und mit 90 Jahren ist längst noch nicht Schluss.“

Der offizielle Name der vom Bund, dem Land Hessen, der Stadt Kassel sowie der evangelischen und katholischen Kirche mit einem Jahresetat von 1,2 Millionen Euro ausgestatteten Einrichtung hört sich feierlich steif an: Museum für Sepulkralkultur. Abgeleitet ist er vom lateinischen „sepulchrum“, was „Grabstätte“ bedeutet. Die im Museum präsentierte Sepulkralkultur umfasst alle Erscheinungen im Zusammenhang mit Sterben, Tod, Bestatten, Trauern und Erinnern. Die Sammlung umfasst rund 18000 Bilder und Objekte der Kunst und Alltagskultur vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Die überwiegende Mehrheit gehört dem deutschsprachigen Raum an.

Zum zwanzigjährigen Bestehen hat das Sepulkralmuseum einen „Auf Tod komm raus“ betitelten Auswahlkatalog seiner Sammlungen veröffentlicht. Gesammelt wird seit Ende der 1970er Jahre. „Seitdem wuchsen die Sammlungsbestände des Museums kontinuierlich, in weiten Teilen jedoch unsystematisch, weil man angesichts schmaler Budgets vorwiegend auf Stiftungen und Dauerleihgaben angewiesen war“, so Sörries, der neben seinem Kasseler Direktorenamt einen Lehrstuhl für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen innehat. Die im Auswahlkatalog vorgestellten 65 Exponate geben einen Einblick in die weite Welt des Sepulkralen.

Viele dieser Exponate kann man sich im ersten Teil der Dauerausstellung ansehen. Im Untergeschoss des 1903 erbauten Remisengebäudes einer Industriellenvilla entfaltet sie vor rohen Bruchsteinmauern und unverputzten Ziegelwänden ihren morbiden Charme. Für den sorgen zum Beispiel eine Kutsche in Form eines riesigen Glassarges, eine Kiste mit Utensilien für die Einbalsamierung, die Totenmasken von Luther, Beethoven und Friedrich dem Großen, Gedenkschmuck aus Haaren und natürlich Totentruhen sowie Urnen. Glanzlicht ist der aus 42 bemalten tönernen Figurengruppen bestehende „Zizenhausener Totentanz“ (nach 1822). Papst und Kaiser, Männer und Frauen, Narr und Krüppel werden vom personifizierten Tod, der als mit Haut überzogenes Skelett auftritt, zum Tanz genötigt. Stefanie Knöll schreibt im Auswahlkatalog: „To­tentänze verdeutlichen, dass im Angesicht des Todes alle Menschen gleich sind.“ Dieser erste Teil der Dauerschau steht in weiten Bereichen seit nunmehr 20 Jahren. Er soll bis zum Kasseler Stadtjubiläum 2013 umgestaltet werden.

In frischer Inszenierung präsentiert sich hingegen bereits jetzt der zweite Teil der Dauerausstellung. Er ist im weiten und lichten Untergeschosssaal des aus Glas und Beton errichteten Neubaus untergebracht. Vorgestellt wird die Entwicklung von Friedhof und Grabmal seit dem Mittelalter. Sörries erklärt: „Der Friedhof, so wie wir ihn kennen, und wie er gegenwärtig noch genutzt wird, hat seine Ursprünge in der jüngeren Vergangenheit, als es in den Jahrzehnten nach 1800 zum weltanschaulich neutralen, zum kommunalen Friedhof kam, der erstmals für jedermann eine eigene und gekennzeichnete Grabstätte vorsah. Diese Phase dauert bis heute an, jedoch ist der Trend zum Verzicht auf individuelle Gräber unverkennbar.“

Hierbei spielt die Feuerbestattung eine wichtige Rolle. Die war in Deutschland lange heftig umstritten. Das erste Krematorium wurde 1878 in Gotha in Betrieb genommen, das zweite 1891 in Heidelberg. In den preußischen Landesteilen des Kaiserreichs war die Feuerbestattung seit 1911 erlaubt. Erst 1963 gab die katholische Kirche ihr Verbot der Feuerbestattung auf. Heute macht sie in Deutschland fast die Hälfte aller Beisetzungen aus. Sörries beurteilt die damit verbundenen Bestattungstrends skeptisch: Denn „man sieht eben auch, das Trauerverhalten wird ,chaotischer‘ oder, wenn Sie so wollen, pluralistischer. Die Menschen trauern heute wie sie wollen – und so bestatten sie auch.“ Etwa in freier Natur. Unter dem Motto „Letzte Ruhe an den Wurzeln eines Baumes“ wurde in der Nähe von Kassel 2001 der erste Friedwald genehmigt. Inzwischen gibt es über 100 Bestattungswälder in Deutschland. Die Dauerschau endet mit der Präsentation reichlich extravaganter Bestattungstrends. Seit 2004 bietet eine Firma die Umwandlung der Toten­asche in einen Diamanten an. Die Losung dabei: „Ein Juwel von einem Mensch.“ Bereits seit 1997 ist die Weltraumbestattung im Angebot. In einer Urne, die so groß wie ein Lippenstift ist, werden sieben Gramm Asche mit einer Rakete wahlweise in eine Erdumlaufbahn, auf den Mond oder auf eine ewige Reise durch die weiten des Alls geschossen. Der Anbieter setzt noch einen drauf: „Alternativ-Angebot: Auf Wunsch kann die ganze Urne ins All.“ Das kostet allerdings 500000 Euro.

Die Dauerausstellung soll um einen dritten Teil erweitert werden. Dazu Sörries: „Aber es gibt auch Themenbereiche, die schwer museal umzusetzen sind. Was uns bis jetzt noch nicht gelungen ist, sind die biologischen und medizin-ethischen Fragestellungen. Was ist Sterben? Wann beginnt es? Patientenverfügung, Organtransplantation, ... das stelle ich mir nach wie vor sehr schwierig vor.“ Doch die Vorbereitungen laufen.

Nächstes Großereignis aber ist am 1. September die Eröffnung der Jubiläumsschau „Schwarz ...“. Es geht um die künstlerische und kulturelle Bedeutung der Farbe Schwarz. Aufgeboten werden Kunstwerke sowie Sach- und Gebrauchsgegenstände des traditionellen christlichen Totenbrauchtums. Andere Abteilungen widmen sich „schwarzen Tagen“, „schwarzer Magie“ oder dem „schwarzen Humor“. Veit-Mario Thiede

Museum für Sepulkralkultur, Weinbergstraße 25-27, Kassel. Dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr, mittwochs 10 bis 20 Uhr. Telefon: (0561) 918930, Internet: www.sepulkralmuseum.de. Der Auswahlkatalog „Auf Tod komm raus“ kostet 18 Euro. Die Jubiläumsschau „Schwarz ...“ läuft vom 1. September bis 27. Januar 2013.


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