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01.09.12 / Die Schriften des Archimedes / Werke des griechischen Gelehrten sind wieder entdeckt und in Hildesheim zu besichtigen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-12 vom 01. September 2012

Die Schriften des Archimedes
Werke des griechischen Gelehrten sind wieder entdeckt und in Hildesheim zu besichtigen

Ein Sammler erstand 1998 bei Christie’s in New York für 2,2 Millionen Dollar eine mittelalterliche Handschrift, die eine Sensation in sich barg. Wissenschaftler machten in dem Gebetsbuch aus dem 13. Jahrhundert ältere, überschriebene Buchstaben ausfindig, die sich als Texte des berühmten Archimedes von Syrakus (287–212 v. Chr.) herausstellten. Das Römer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim zeigt mit dem „Archimedes-Code“, wie Bildtechniker und Naturwissenschaftler in einer über zehnjährigen Arbeit die längst verloren geglaubten Schriften des antiken Denkers und Mathematikers für Philologen wieder lesbar machten. Diese älteste noch existierende Abschrift, der Kodex C, von insgesamt sieben Archimedes-Traktaten enthält zwei bislang unbekannte Abhandlungen, die „Methodenlehre“ und das „Stomachion“, und die erste bekannte griechische Version von „Über schwimmende Körper“.

Kernstück der Ausstellung ist das sogenannte „Archimedes-Palimpsest“, dessen Ausgangspunkt im 10. Jahrhundert liegt, als in Konstantinopel eine original-griechische Kopie von Archimedes-Texten auf Pergamentblättern erstellt und zu einem Kodex zusammengefügt wurde. Als jedoch 1229 der Mönch Johannes Myronas in Jerusalem diesen auseinander nahm und die Schrift vom wertvollen Pergament abschabte, um es wieder zu verwenden, wurde der Kodex zerstört. Das dann entstandene Gebetsbuch blieb bis ins 19. Jahrhundert in Gebrauch, darunter 400 Jahre im griechisch-orthodoxen Kloster von Mar Saba in der judäischen Wüste. 1844 entwendete der deutsche Textforscher und Theologe Konstantin von Tischendorf daraus ein Blatt, das sich heute in der Universitätsbibliothek von Cambridge befindet. 1906 gelang es dem dänischen Philologen Johan Ludvig Heiberg in einem Kloster in Istanbul insgesamt sieben der überschriebenen Texte zu identifizieren. In den 1930er Jahren übermalte der Pariser Sammler Salomon Guerson einige Seiten mit falschen mittelalterlichen Heiligenbildern, um den Wert des Buches zu steigern, weil er Geld für seine Flucht vor den Nationalsozialisten brauchte. Aber nicht immer lässt sich die Irrfahrt des Buches durchgängig bis zur Auktion in New York verfolgen.

Heute ist das Wertvollste an den Seiten des Gebetsbuches die darin enthaltene älteste griechische Kopie eines Archimedes-Textes. Sie enthält zuvor völlig unbekannte oder nur in einer anderen Sprache vorhandene Abhandlungen. Die Ausstellung zeigt, wie Forscher in einer internationalen Zusammenarbeit die unleserlich unter den Buchstaben der Mönche verborgene Abschrift wieder sichtbar machten. Die Wissenschaftler des Walters Art Museum, in dessen Besitz sich das Palimpsest befindet, hielten es sogar zunächst für unmöglich, den Verfall zu stoppen. Allein fünf Jahre dauerte die Rückgewinnung der ursprünglichen Pergamentblätter, indem das ganze Buch Seite für Seite auseinander genommen wurde. In mühevoller Kleinarbeit mussten die durch Gebrauch, Wasser und Schimmel verursachten Schäden behoben werden. Erst die Pseudo-Farben-Technik und das Röntgenfluoreszenzverfahren ermöglichten die Texterkennung, indem sie den hohen Eisengehalt der verwendeten Tinte nutzten. Ein Teilchenbeschleuniger in Stanford wurde zur Durchleuchtung in Anspruch genommen. Anschaulich werden diese Methoden anhand von Bildern und Texttafeln erklärt.

In speziellen Glasvitrinen zeigt das Römer- und Pelizaeus-Museum in einer europaweit einmaligen Ausstellung insgesamt drei der 90 Palimpsest-Seiten. Zwei Blätter sind den Hauptwerken des Archimedes, der „Methodenlehre“ und „Über schwimmende Körper“, entnommen. Das dritte enthält die bislang unbekannte Rede „Gegen Diondas“ des Hyperides. Nicht nur die Seiten sind Bestandteil der Austellung, auch die Welt des Archimedes. Dazu gehören die erste gedruckte Archimedes-Ausgabe von 1544, Guiseppe Nogaris berühmtes Archimedes-Gemälde als Leihgabe des Moskauer Puschkin-Museums und weitere Gemälde aus dem 16. und 19. Jahrhundert.

Das „Junge Museum“ lädt Kinder ein, an Flaschenzügen und kleinen Katapulten spielerisch die Entdeckungen des griechischen Denkers nachzuvollziehen und so das Hebelgesetz oder das Prinzip des Auftriebs kennenzulernen. Bedienbare Großmodelle zu Erfindungen des Archimedes und eine nachgebaute Version seines Stomachions, einem aus 14 Dreiecken bestehenden Geduldsspiel, stehen zum Ausprobieren den großen und kleinen Besuchern zur Verfügung. Neben den klar strukturierten Räumen zur Geschichte, zur wissenschaftlichen Erforschung der Abhandlungen sowie zum Leben des Archimedes, erhöht sich der Reiz der Ausstellung durch diese „Spielerei“ aus Geschichte, Physik und Kunst. Ulrich Blode

„Der Archimedes-Code“, Römer- und Pelizaeus-Museum, Hildesheim GmbH, Am Steine 1-2, 31134 Hildesheim. Nur noch bis zum 9. September täglich von 10 bis 18 Uhr. Telefon: (05121) 93 69 0


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