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01.09.12 / Nicht nur ein Stellvertreterkrieg / In Syrien gibt es konfessionelle Spannungen, an die das interessierte Ausland anknüpfen kann

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-12 vom 01. September 2012

Nicht nur ein Stellvertreterkrieg
In Syrien gibt es konfessionelle Spannungen, an die das interessierte Ausland anknüpfen kann

Der in Syrien tobende Bürgerkrieg wirft für den unvoreingenommenen Beobachter immer mehr Rätsel auf. Wer den Kriegsnachrichten in den Medien von „Massakern“ oder dem „Aufstand des Volkes gegen Assad“, den von den Kämpfenden kolportierten Zahlen nicht so recht glauben mag, findet kaum Alternativen. Zuverlässige Informationen sind rar. Dass die USA inzwischen im Verein mit Katar, Saudi-Arabien und der Türkei die Rebellen bewaffnen und somit einen Stellvertreterkrieg gegen das mit Russland, Iran und China verbündete Syrien führen, mag neben den vielfältigen konfessionellen Konfliktlinien des Landes für weitere Verwirrung sorgen.

Zur Klärung dieser verworrenen Lage ist ein Blick in die Geschichte dieses Landes hilfreich, in dem bereits seit dem ersten Jahrhundert Christen leben. Die Bekehrung des Apostels Paulus kurz vor der syrischen Hauptstadt Damaskus ist bis heute berühmt. Die ersten Christen im vorderen Orient, die sich noch der aramäischen Originalsprache Jesu bedienten, nannten sich „syrische“ Christen. Dieser Namensbestandteil ist bei einigen orthodoxen Kirchen bis heute erhalten geblieben. Die Christenheit erlebte zwar unter der muslimischen Herrschaft ab dem 7. Jahrhundert manche Verfolgung. Unter der Regierung des alawitischen Assad-Clans erfreute sie sich aber normaler religiöser und gesellschaftlicher Freiheiten, was im Vorderen Orient die große Ausnahme ist.

Als Hafez al Assad, der Vater des jetzigen Präsidenten Baschar al-Assad, 1970 die Herrschaft übernahm, regierte mit den Alawiten eine kleine islamische Konfession das Land. Diese Minderheit war bis dahin ebenso wie die Christen von den höchsten Stellen des Landes weitgehend ausgeschlossen. Die Alawiten siedelten seit Jahrhunderten im Westen des Landes, in der Region des Dschebel Ansarije in der Nähe von Lattakia. Meist als Bauern führten sie ein bescheidenes Dasein in der Nähe des Berges der „Nusairier“, benannt nach Ibn Nusair, dem maßgeblichen Gründer dieser islamischen Konfession. Den Alawiten hatte diese Bergregion stets als Rückzugsgebiet vor den Verfolgungen der sunnitischen Herrscherschicht gedient. Ähnlich die Situation in den Bergen des Libanon, wo sich orthodoxe Schiiten vor den Nachstellungen und Attentaten der Sunniten sicher fühlten.

Die syrischen Alawiten dürfen nicht mit den türkischen Alewiten verwechselt werden, obwohl sie beide aus dem heterodoxen Schiitentum stammen. Beide Konfessionen berufen sich, wie der Name zeigt, auf den „Verehrer Alis“, des Vetters und Schwiegersohnes des Propheten Mohammed. Die „Schiat Ali“ bedeutet nichts anderes als die „Partei Alis“. In den Kämpfen um die Nachfolge Mohammeds ab 632 n. Chr. vertraten die Anhänger Alis die Auffassung, dass nur dieser Prophet der rechtmäßige Nachfolger sei, womit alle anderen zu unrechtmäßigen Usurpatoren erklärt wurden. Nach der Ermordung Alis im irakischen Kufa richtete sich der Hass der Schiiten besonders gegen die in Damaskus bis 750 herrschenden Omajaden.

Über die genauen Lehren der Schiiten, besonders der Alawiten, gibt es nur wenige zuverlässige Informationen. Sie gelten innerhalb des herrschenden sunnitischen Islam als Ketzer. Ähnlich wie in Deutschland, wo sich Protestanten und Katholiken vielfach gegenseitig in ein negatives Licht stellten, ist die Lage zwischen den schiitischen und sunnitischen Konfessionen bis heute mehr als gespannt. Der Hauptunterschied zwischen Alewiten und Alawiten besteht darin, dass die Gründerfigur bei den Alawiten zusammen mit Mohammed und dem Perser Salman-i-Farisi fast göttlichen Status besitzt. Für die Sunniten ist das eine wüste Ketzerei und Gottlosigkeit. Daher schrecken heute sunnitische Fanatiker nicht davor zurück, wie kürzlich im Irak geschehen, ihre schiitischen Glaubensbrüder bei einer Wallfahrt zu Hunderten in die Luft zu sprengen.

Syrien galt über die längste Zeit der muslimischen Geschichte des Landes als ein Hort des sunnitischen Islam. Als im Reformationsjahr 1517 der Sultan Selim Yavuz das Land für das Osmanische Reich eroberte, blieb es sunnitisch beherrscht. Erst unter dem französischen Mandat entstand nach dem Ersten Weltkrieg kurzfristig ein Quasi-Staat der Alawiten im Gebiet von Lattakia. Der Aufbau der französischen Armee, die auch alawitischen Bauernjungen offen stand, bot den Alawiten erstmals Aufstiegschancen innerhalb des Staates. Die stark nationalistisch gesinnten Sunniten verweigerten sich dagegen bis zur Unabhängigkeit 1946 dem Dienst in der Armee. Es ist daher kein Zufall, dass Baschar al Assad sich wie sein Vater im gegenwärtigen Bürgerkrieg relativ gut auf seine Armee verlassen kann. Während die meist sunnitisch geprägten Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei unterstützt werden, ist für die Alawiten die Armee eine Bastion. Bis heute beherrschen die Alawiten-Familien aus drei Dörfern in der Umgebung der Ortschaft Qardaha, ergänzt um wenige christliche und sunnitische Politiker, das Land. Der 1982 vom Vater Baschars niedergemetzelte Aufstand der sunnitischen Muslimbrüder in Hama zeigt, wie konfliktreich die konfessionellen Gräben nach wie vor sind.

Syrien-Experten wie Günter Lerch von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ verweisen allerdings darauf, dass neben der Religion auch wirtschaftliche Fragen hinter dem Konflikt stehen. Die „sunnitische Handelsbourgeoisie“ hätte sich weitgehend mit dem Assad-Regime ausgesöhnt. Dagegen würden das sunnitische Kleinbürgertum und der Mittelstand sich

zunehmend vom Regime unterdrückt fühlen. Diese sunnitischen Schichten, die sich mit den politischen Vorstellungen der türkischen Regierungspartei AKP stark identifizieren können, würden den Aufstand nun vorantreiben. Nicht zu vergessen in dieser Gemengelage sind die seit Jahrhunderten im Norden Syriens siedelnden Kurden, die mit ihren Brüdern auf der anderen Seite der Grenze, in der Türkei und im Irak, ebenso die Konflikte weiter schüren wie eingedrungene sunnitische Kämpfer von al-Kaida und schiitische Milizen aus dem Iran. Hinrich E. Bues


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