29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
01.09.12 / Caesars Nazis / Harvard-Autor untersucht »Germania« nach Ansätzen für NS-Ideologie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-12 vom 01. September 2012

Caesars Nazis
Harvard-Autor untersucht »Germania« nach Ansätzen für NS-Ideologie

Dass die „Germania“, dieses dünne Büchlein, das mit zwei anderen ähnlich geringen Umfangs am chronologischen Anfang der von dem römischen Historiker Publius Cornelius Tacitus erhaltenen Werke steht, zu den 100 gefährlichsten Büchern der Welt zählt, ist von Arnaldo Momigliano gesagt worden, einem großen Kenner der klassischen Antike. Der Autor, ein Professor für klassische Philologie in Harvard, meint, Tacitus habe eine solche Wirkung zwar keinesfalls intendiert, aber sie habe sich so ergeben. Und zwar, weil ab dem 15. Jahrhundert die dort beschriebenen Germanen unwissenschaftlich, aber bewusstseins-prägend flugs mit den modernen Deutschen gleichgesetzt worden seien. Diese mangelnde Präzision habe das Werk schließlich zu einer „Bibel für die Nationalsozialisten“ gemacht. Heinrich Himmler, in seinem skurrilen Bestreben der Wiedererweckung des Geistes der alten Germanen, wie er ihn im Gefolge von Tacitus zu verstehen versuchte, habe im Herbst 1943, als die Wehrmacht nach dem Sturz Mussolinis und dem Waffenstillstand der Regierung Badoglio mit den Alliierten in Italien einmarschierte, ein SS-Sonderkommando nach Iesi (in den Marken) ge- schickt, um in der Nähe dieses Städtchens nach dem „Codex Aesinas“ zu fahnden, einer der handschriftlichen Überlieferungen der „Germania“. Die Suche blieb jedoch erfolglos.

Mit dieser, durchaus reißerisch geschilderten Aktion beginnt die Darstellung „Ein gefährliches Buch. ,Die ,Germania‘ des Tacitus und die Erfindung der Deutschen“, und damit klingt sie auch aus. Ein deutscher Historiker würde derlei „Ringkomposition“ als Effekthascherei ablehnen. Vielleicht schielt der in Harvard lehrende Christopher B. Krebs auch auf nicht nur im angelsächsischen Publikum vorhandene Klischee-Vorstellungen, dass seit etwa 1500 alles in der deutschen Geschichte, auch und gerade in der Geistesgeschichte, auf die fatalen zwölf Jahre der NS-Herrschaft vorausweise. Dabei verschweigt er aber nicht, dass die „Germania“ auch immer wieder nüchtern betrachtet worden ist. Adolf Hitler übrigens hielt nicht viel von Himmlers Germanen-Tümelei.

Doch ändert das nichts an der wissenschaftlichen Gediegenheit der sonstigen Darstellung, demonstriert in einem umfangreichen Fußnoten-Apparat, der dem Interessierten gute Hilfe bietet, wenn er sich genauer informieren will über das Interpretations-Schicksal der „Germania“ durch die gesamte Neuzeit hindurch. Die Einzelheiten, die der Autor repräsentativ auswählt, findet man anderswo auch (siehe die Fußnote 10 der Einleitung, den Hinweis auf Klaus von See: „Deutsche Germanen-Ideologie: vom Humanismus bis zur Gegenwart“, 1970). Man findet es wahrscheinlich aber nicht in dieser griffigen Zusammenfassung und nicht mit so viel trockenem Humor und Mangel an überflüssiger Ehrfurcht serviert. Daher ist der allgemeinbildende Wert des Buches durchaus hoch zu veranschlagen.

Eine Aussage des Tacitus weise nach Auffassung des Autors sogar schon auf die Nürnberger Rasse-gesetze von 1935 voraus: „Ich selbst trete der Meinung derer bei, die es für zutreffend halten, dass die Völker Germaniens durch keine fremde Heiratsgemeinschaften mit anderen Völkern infiziert sind (tatsächlich: „infectos“!) und daher ein originär für sich bestehender und nur sich selbst ähnlicher Stamm sind“ (Kap. 4, Satz 1). Dazu erfahren wir aber, dass es sich hier um einen Gemeinplatz der antiken Ethnographie handelt, den man also nicht auf die Goldwaage legen sollte. Genaueres aber (wie kann es zu solch einem Gemeinplatz kommen?) sagt uns der Autor leider nicht. Er lässt uns aber auch nicht ganz im Stich. Wir müssen nur seine Fußnoten durchforsten, um Eduard Norden zu finden, den großen Latinisten, der 1920 (es gibt seitdem Nachdrucke) eben dies in seinem Werk „Die germanische Urgeschichte in Tacitus’ Germania“ erläutert und dabei die historische Zuverlässigkeit der Informationen in der „Germania“ kritisiert. Bernd Rill

Christopher B. Krebs: „Ein gefährliches Buch. ,Die ,Germania‘ des Tacitus und die Erfindung der Deutschen“, DVA, München 2012, geb., 352 Seiten, 24,99 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren