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01.09.12 / Auf Sinnsuche / Arzt verzweifelt an Praxisalltag und Privatleben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-12 vom 01. September 2012

Auf Sinnsuche
Arzt verzweifelt an Praxisalltag und Privatleben

Ein Mann, eine Familie und das Älterwerden, dazu die Frage nach der Sinnhaftigkeit unseres Lebensstils, der von Arbeitsstress und vom Geld bestimmt ist: Das ergibt im neuen Roman des norwegischen Autors und Musikers Ketil Björnstad die Geschichte des 58-jährigen Arztes Thomas Brenner. Nachdem das Buch mit dem Titel „Die Unsterblichen“ im vergangenen Jahr in Norwegen ein großes Echo ausgelöst hat, ist auch die deutsche Ausgabe ähnlich erfolgreich. Es ist eine Geschichte, die wohl kaum jemanden kalt lässt und die jedem Leser zumindest in Teilen bekannt vorkommen wird. Wie geht es der in die Jahre gekommenen mittleren Generation? Am Beispiel von Thomas beschäftigt uns der Autor mit dieser Frage; sie schwebt über einer Gemengelage von Problemen gesellschaftlicher und privater Natur. Unaufgeregt und schnörkellos wirft der 1952 geborene Autor ein Licht auf die Lebenssituation, Pläne und Träume von Thomas Brenner, der als Hausarzt in einer Gemeinschaftspraxis im Osloer Vorort Holmenkollen tätig ist, einer Villengegend. Erzählt wird durchgehend aus dessen Perspektive, jedoch nicht in der Ich-Form, so dass die Distanz zu den handelnden Personen gewahrt bleibt.

Eines Abends kann Thomas nicht einschlafen, ihn beunruhigen zu viele Dinge. An diesem Tag wurde nach vielen Streitigkeiten mit den Pflegekräften entschieden, dass seine alte Mutter ins Pflegeheim kommt. Bisher leben seine über 90-jährigen, pflegebedürftigen Eltern noch in der eigenen Wohnung im Dreigenerationenhaus Brenner. Dazu hegt Thomas die Befürchtung, dass seine Frau Elisabeth an Brustkrebs erkrankt sein könnte. Doch diese hat sich bisher dazu nicht geäußert. Auch am nächsten Tag schweifen seine Gedanken während der kurzen Ruhepausen, die ihm während der Praxistätigkeit bleiben, immer wieder ab. Die Bahnen, in denen sich Thomas privat und beruflich bewegt, sind mit der Zeit immer enger geworden, dabei nahm die Belastung stetig zu. Zudem hat er Herzprobleme. Dennoch möchte er die anstehende Familienreise nach Chicago nicht absagen. Wie seine Frau möchte auch Thomas demnächst beruflich kürzer treten. Er fühlt sich eingezwängt in einen medizinischen Apparat, den er nicht mehr durchschaut. Daheim warten auf ihn täglich Aufgaben bei der Versorgung seiner Eltern, während seine Frau sich ihrerseits intensiv um ihre eigenen Eltern kümmert.

Auch in materieller Hinsicht geht es allen längst nicht mehr so gut wie noch vor einigen Jahren. Gordon, Thomas’ Vater, ist einem Anlageberater aufgesessen und hat durch die Finanzkrise den größten Teil seines Vermögens verloren. Indessen sind die beiden erwachsenen Töchter Annika und Line immer noch finanziell von ihren Eltern abhängig. Beide haben verschwommene, aus Sicht von Thomas illusionäre Vorstellungen von ihrer beruflichen Zukunft.

An diesem Tag erhält Thomas Besuch von Mildred Latefoss, einer ehemalige Mitschülerin und Kollegin. Sie möchte ihm persönlich mitteilen, dass er den Verdienstorden des Königs in Gold erhalten soll, was Thomas jedoch eher ratlos stimmt. Die Antwort auf ihre Frage nach Thomas’ Ergehen fällt nicht positiv aus, sie klingt mit all ihren Einzelheiten fast wie ein Vorwurf – doch an wen? Wie auch immer, Ketil Björnstad ist ein großartiger Roman gelungen. Dagmar Jestrzemski

Ketil Björnstadt: „Die Unsterblichen“, Insel Verlag, Berlin 2011, gebunden, 303 Seiten, 19,90 Euro


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