26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.09.12 / Piratenprozess in Sackgasse / 100. Verhandlungstag: Somalier klagen sich gegenseitig an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-12 vom 08. September 2012

Piratenprozess in Sackgasse
100. Verhandlungstag: Somalier klagen sich gegenseitig an

Die Ereignisse überschneiden sich: Während auf dem Gelände der Hamburg Messe im Laufe des Kongresses „Maritime Security and Defense“ Sicherheitsexperten darüber beraten, wie sich Schiffsbesatzungen gegen Piraten-Überfälle sichern können, erlebt nur einen Kilometer entfernt eine Gruppe somalischer Männer den 100. Verhandlungstag ihres Strafverfahrens vor dem Hamburger Landgericht. Ihnen wird vorgeworfen, am 5. April 2010, rund 530 Seemeilen vor der somalischen Küste, das Containerschiff „Taipan“ der Hamburger Reederei Komrowski geentert zu haben.

Als der Prozess gegen die zehn Männer im November 2010 eröffnet wurde, umfasste die von Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers verfasste Anklageschrift nur 33 Seiten. Er bezeichnete den Sachverhalt seinerzeit als „überschaubar und gut eingrenzbar“. Heute, fast zwei Jahre später und angesichts des 100. Verhandlungstages, ist er nicht mehr bereit, sich zum weiteren Verlauf des Verfahrens überhaupt noch zu äußern.

Der Prozess zeigt die Schwierigkeiten des Rechtsstaates, sich mit einer Form von Kriminalität auseinanderzusetzen, die über Jahrhunderte vor deutschen Gerichten nicht mehr verhandelt wurde, für die folglich auch keine zeitgemäßen Rechtsnormen und Verfahrensweisen gewachsen sind. Zudem prallen unterschiedliche kulturelle Auffassungen aufeinander, sind umständliche und sorgfältige Übersetzungen nötig, für die in der somalischen Sprache oft die entsprechenden Begriffe fehlen. Seeleute, die das Verfahren verfolgen, haben nur wenig Verständnis dafür, wenn Medien ausgiebig über die seelische Verfassung der Angeklagten und ihre Ängste berichten, die Situation der betroffenen Besatzung aber kaum Erwähnung findet. Zudem wurden während des Verfahrens auch alte, längst überholte Klischees wiederholt, wie jenes von den angeblich überfischten Gewässern vor der ostafrikanischen Küste und der daraus entstandenen Not, die die Männer um des puren Überlebens willen in die Piraterie getrieben hätte. 

Anfang des Jahres 2012 zeichnete sich kurzfristig ein Ende des Prozesses ab: Die Staatsanwaltschaft hielt Ende Januar ihr Plädoyer – und forderte Haftstrafen zwischen vier und elfeinhalb Jahren für die Angeklagten. Weil ein Angeklagter dann jedoch ein Geständnis ankündigte, das alle Somalier betreffen sollte, wurde dieser Schritt rückgängig gemacht. In dem Geständnis bezichtigte er seine Mitangeklagten der Lüge. Alle zehn hätten bei dem Überfall auf den Hamburger Frachter freiwillig mitgemacht, sie seien nicht, wie von manchen vor Gericht behauptet, dazu gezwungen worden. Seine Mitangeklagten wiederum erklärten, Drahtzieher des Überfalls seien Verwandte des geständigen Angeklagten gewesen; diese hätten den Überfall von London aus organisiert und Waffen besorgt.

Das Verfahren verursacht immense Kosten. Die Justizbehörde der Hansestadt muss aus ihrem Etat jeden der 20 Pflichtverteidiger bezahlen. Jeweils zwei Verteidiger pro Angeklagtem erschienen dem Gericht notwendig, damit nicht, möglicherweise durch krankheitsbedingte Ausfälle eines Verteidigers, das Verfahren neu aufgerollt werden müsse. Die Anwälte erhalten pro Verhandlungstag zwischen 216 und 324 Euro. Hinzu kommen Aufwendungen für Untersuchungshaft, Gericht, Staatsanwaltschaft, Sachverständige und Zeugen.        Eigel Wiese


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren