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08.09.12 / Kein Respekt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-12 vom 08. September 2012

Kein Respekt
von Jan Heitmann

Frei nach dem Motto „Recht ist, was der Politik nützt“, hat Wolfgang Schäuble deutlich gemacht, was er von der Gewaltenteilung hält: nicht viel. Der Bundesfinanzminister erwarte, so ließ er Anfang der Woche bei einer Konferenz in Straßburg verlauten, dass das Bundesverfassungsgericht den Euro-Rettungsfonds ESM und den EU-Fiskalpakt durchwinken werde. Er sei nämlich sicher, dass das Gericht die europäischen Vereinbarungen „nicht blockieren“ werde. Die Behauptung, dass die Bundesregierung die Verträge „gewissenhaft geprüft“ und für verfassungsrechtlich in Ordnung befunden habe, reicht ihm offensichtlich als Legitimation für den Versuch, den Verfassungshütern ihr Urteil vorzugeben und sie zu Handlangern der Politik zu degradieren.

Ist sich Schäuble überhaupt bewusst, über wen er da spricht? Das Bundesverfassungsgericht ist nicht irgendein juristischer Debattierclub, sondern ein Verfassungsorgan. Als solches ist es eine der unverzichtbaren Säulen unserer Demokratie, deren Unabhängigkeit unter allen Umständen zu achten und zu wahren ist. Das gilt auch und gerade für Mitglieder der Bundesregierung. Aus gutem Grund war es bislang üblich, die Rechtsprechung der Verfassungsrichter nicht durch politische Einmischung zu erschweren. Die Verwendung des Wortes „blockieren“ durch den Finanzminister offenbart indes, dass für ihn das Bundesverfassungsgericht in erster Linie ein lästiger Störenfried zu sein scheint, der mit seinen Urteilen zur Verfassungsmäßigkeit von politischen Entscheidungen das Regierungshandeln behindert.

Schäuble ist Jurist. Er weiß sehr wohl, über wen er da spricht. Er weiß sehr wohl, dass das Bundesverfassungsgericht keine von der Gnade der Regierenden abhängige Institution ist, die deren Politik in irgendeinem übergeordneten Interesse abzunicken hat. Bei den Entscheidungen der Verfassungshüter geht es um Recht. Um Recht, das nicht der Beliebigkeit der Regierungspolitik geopfert werden darf. Alles das weiß Schäuble. Und dennoch verlagert er die verfassungsrechtliche Prüfung der Vertragswerke zur „Euro-Rettung“ von der juristischen auf die politische Ebene. Er tut dies, indem er den Versuch unternimmt, das Gericht dahingehend zu beeinflussen, die realitätsferne und gefährliche Euro-Politik juristisch zu decken. Wenn ein Minister und Jurist sich zu solchen Mittel versteigt, muss er schon ziemlich verzweifelt sein, einfach nur dreist oder beides. Auf Schäuble dürfte Letzteres zutreffen. Er dürfte erkannt haben, dass die Bundesregierung mit ihrer fatalen Euro-Politik am Scheideweg steht und dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem bevorstehenden Urteil eindeutig die Richtung weisen wird. Eine Richtung, die eben nicht zwangsläufig die sein muss, die die Politik sich wünscht. Die Lage des Euro scheint dem Bundesfinanzminister so prekär zu sein, dass er kurzerhand die Gewaltenteilung außer Kraft setzt, um doch noch zum Ziel zu kommen. Wer so handelt zeigt, dass er keinen Respekt mehr vor Recht und Demokratie hat.


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