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08.09.12 / Aberglaube bis in den Tod / Medizinmänner in Kapstadt – Ungebrochen großer Einfluss traditioneller Heiler im modernen Afrika

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-12 vom 08. September 2012

Aberglaube bis in den Tod
Medizinmänner in Kapstadt – Ungebrochen großer Einfluss traditioneller Heiler im modernen Afrika

Eine Voodoo-Puppe grinst vom Dach, zwei Kerzen beleuchten Gräser, zusammengetragen von heiligen Stätten. In den Regalen lagern Pulver, Steine und Flüssigkeiten. Scharfe Öle mischen sich mit Schweiß und erfüllen die Baracke mit einem penetranten Geruch. Der Rauch des Heilgrases brennt in den Augen. Auf einem Plastikstuhl sitzt ein Mann Mitte 60, den Blick zu Boden gerichtet. Leise murmelnd bereitet er sich auf seine nächste Sitzung vor, in der er die Ahnen wieder um Rat fragen wird. Ndaba ist traditioneller Heiler. Aus erlesenen Extrakten von Tieren und Pflanzen mischt, kocht und filtert der Afrikaner seine Medizin. Er wirkt wie in Trance. Als wäre er in seiner eigenen, magischen Welt.

In Afrika haben Medizinmänner eine jahrtausendealte Tradition und selbst im 21. Jahrhundert ist ihr Einfluss ungebrochen. So besuchen 84 Prozent aller Südafrikaner dreimal im Jahr einen Sangoma, wie die Heiler in der Stammessprache isiXhosa heißen. Der Glaube an die traditionelle Medizin, das Muti, zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Und das so gut wie in ganz Afrika. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkannte die Bedeutung der Medizinmänner und rief am 31. August 2002 den ersten „Internationalen Tag der traditionellen afrikanischen Medizin“ aus. Am Freitag vergangener Woche wurde erneut dieses von Mythen umwobenen Themas gedacht. Einerseits um die Vorurteile gegen Schamanen auszumerzen, andererseits sollen alte Heilkunde und Schulmedizin ein Stück zusammenrücken.

Darin sehen afrikanische Politiker einen dringenden Aufholbedarf. Denn Schlangenöl für die schnelle Liebe und Phalaza, eine Kräuterpaste, die durch Erbrechen zu innerer Reinigung führe, zählen noch zu den eher harmlosen Methoden von Sangomas. Moderne Mediziner kritisieren sie wegen der angeblichen Heilung von HIV – der Infizierte müsse nur mit einer Jungfrau schlafen und schon neutralisiere sich das Virus. Drogenmorde mit der gefährlichen Muti-Arznei bringen Sangomas auch ins Fadenkreuz religiöser Vertreter und der Polizei. Die Medizin gewinnen sie dabei nicht aus Pflanzen oder Tieren, sondern vom Menschen. In entlegenen Regionen handelt es sich heute noch um blutige Realität.

Die jüngsten Proteste in der Marikana-Mine bei Johannesburg sollen gezeigt haben, wie der Aberglaube die Menschen sogar bis in den Tod mobilisieren kann. In einem Akt, den internationale Medien als „schlimmsten Gewaltausbruch nach der Apartheid“ bezeichneten, schoss die Polizei auf tobende Minenarbeiter. 34 Menschen starben. Bevor sie in den tödlichen Kugelhagel liefen, soll ein Medizinmann sie mit einer Tinktur besprüht haben, die sie angeblich unverwundbar mache. Das berichteten südafrikanische Zeitungen. Die Polizei will von einem Helikopter aus beobachtet haben, wie sich Dutzende Menschen aufreihten, um sich vom Sangoma gegen die Schüsse der Polizei schützen zu lassen. „Der Gebrauch von Muti wurde bei den Aktionen von Gewerkschaften zum gewöhnlichen Brauch“, sagte Crispen Chinguno, Forscher an der Universität Johannesburg.

Ärzte akzeptieren ihre alternativen Kollegen mittlerweile. Doch es ist eine Zweckfreundschaft, denn letztendlich mussten Akademiker und Regierungen den Einfluss anerkennen, den Sangomas im 21. Jahrhundert immer noch ausüben. Im südlichen Afrika mobilisieren Regierungen Sangomas vor allem gegen Aids. Haben diese erkannt, dass es sich bei dem Virus nicht um einen bösen Geist handelt, schwören sie ihren Methoden meist ab. Sie informieren ihre Patienten über Verhütung, verweisen sie an Krankenhäuser und beraten sie über antiretrovirale Mittel.

Die Weltgesundheitsorganisation möchte Schamanen weltweit in das staatliche Gesundheitssystem integrieren. Ihre Statuten wollen „traditionelle Medizin als Teil der Grundversorgung anerkennen“. Um die Sicherheit der Patienten sicherzustellen, so die WHO, sollten „das Wissen und die Fähigkeiten der Medizinmänner aufgerüstet werden“. Südafrika machte hier die ersten Schritte: Nach einem Test bei einem alten Sangoma erhalten junge Medizinmänner eine staatliche Lizenz. Die brauchen sie zwar nicht, dennoch dient sie ihnen als Qualitätsmerkmal. Markus Schönherr


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