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08.09.12 / DDR vor Vaterliebe / Über Kinder von Stasi-Leuten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-12 vom 08. September 2012

DDR vor Vaterliebe
Über Kinder von Stasi-Leuten

Bereits die Begriffe sind grotesk: Die „Hauptabteilung Kader und Schulung“ des Ministeriums für Staatsicherheit der DDR führte Listen über „negativ-dekadente Verwandte“ der hauptamtlichen Mitarbeiter. Ein Eintrag auf dieser Liste der „HA KuSch“ (so die offizielle, wahrscheinlich unfreiwillig komische und doch so treffende Abkürzung) war nicht gerade karriereförderlich. Also achteten die Mitarbeiter auf entsprechend konformes Verhalten ihrer Kinder. Das begann beim äußeren Erscheinungsbild und machte auch vor dem Freundeskreis oder den Liebesbeziehungen der Jugendlichen nicht Halt. Hatte der Sohn wegen einer DDR-kritischen Wandzeitung gar eine Gefängnisstrafe in Kauf zu nehmen, so distanzierte sich der Vater auch schon mal ganz und schrieb Berichte über ihn.

Von solchen Fällen erzählt die Journalistin Ruth Hoffmann in ihrem Buch „Stasikinder“. Eingeflossen sind die Erfahrungen von insgesamt 13 Personen, deren Väter, zuweilen auch deren Mütter, im Dienst des „Organs“ standen. Zu Recht wird unterstrichen, dass beim Thema Stasi erstaunlicherweise meist die IM im Fokus stehen, die Hauptamtlichen hingegen wenig wahrgenommen werden. Ein Teil von deren Lebenswelt wird nun hier aus der Perspektive der Kinder erschlossen.

Die Stasi sah sich als Elite und war eine „geschlossene Gesellschaft“. Nahezu unsäglich war die gegenseitige Bespitzlung, gerade unter den hauptamtlichen Mitarbeitern. Rekrutiert wurde der Nachwuchs vorzugsweise aus deren Kreis – eine Reihe der hier zu Wort kommenden Kinder hat diese Erfahrung gemacht, die besonders leidvoll war, wenn es sie eben nicht in den Spitzel-Dienst drängte oder sie der DDR gar kritisch gegenüberstanden.

Bekannte Namen tauchen auf – und neue Blickwinkel. So etwa, wenn es um Werner Stiller geht, der im Jahre 1979 spektakulär überlief und dem BND umfangreiche Listen von Stasi-West-Spionen vorlegte. Eine Familie, deren Vater langjährig bei der Preussag tätig war und der fleißig in die DDR berichtet hatte, flüchtete daher buchstäblich Hals über Kopf von Hannover nach Ost-Berlin. Der Agent bekam Orden, man ermöglichte ihm hier ein materiell vergleichsweise privilegiertes Leben. Er sollte aber bald feststellen, dass das DDR-System doch nicht so ideal war, wie er es sich vorgestellt hatte. Eine späte Einsicht, zu leiden hatten vor allem die Söhne.

Kritische Reflexionen waren und sind bei hauptamtlichen, in der DDR tätigen Stasi-Mitarbeitern nach dem Mauerfall wenig verbreitet. Eine Ausnahme macht hier der Vater von Vera Lengsfeld, dem bereits bei der Ausbürgerung Wolf Biermanns im Jahre 1976 Zweifel kamen.

Über die Erinnerungen der Kinder, ergänzt durch Zwischenkapitel, die einen Überblick über die Institution „Stasi“ geben, gelingt es Ruth Hoffmann, beklemmende Einblicke zu präsentieren. Es lässt sich jedoch nicht konstatieren, dass das hier dargestellte rücksichtslose und schäbige Verhalten von Eltern gegenüber ihren Kindern zwingend an ein diktatorisches Spitzel-System wie das der DDR gebunden ist. Hier war es lediglich begünstigt und ist sichtbar geworden.             Erik Lommatzsch

Ruth Hoffmann: „Stasikinder. Aufwachsen im Überwachungsstaat“, Propyläen, Berlin 2012, geb., 318 Seiten, 19,99 Euro


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