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15.09.12 / Gefährliche Jugend / Geht es im Syrienkonflikt um mehr als um den Sturz eines Machthabers und Religion?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-12 vom 15. September 2012

Gefährliche Jugend
Geht es im Syrienkonflikt um mehr als um den Sturz eines Machthabers und Religion?

Ähnlich wie die Euro-Krise ermüden inzwischen auch die Nachrichten über die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien. Da die meisten kaum noch durchschauen, wer da gegen wen wofür kämpft, wünscht sich der deutsche Nachrichtenkonsument aus ganz egoistischen Gründen ein Ende des Konfliktes. Doch der Soziologe Gunnar Heinsohn hält einen baldigen Frieden in Syrien für ausgeschlossen, da zu viel Testosteron im Spiel sei.

Wenn es in Syrien also nicht in erster Linie darum geht, den Machthaber Baschar al-Assad zu stürzen und auch nicht darum, irgendeiner islamischen Gruppierung die Macht zukommen zu lassen oder verfeindete Ausrichtungen zu lynchen, worum geht es denn dann? Heinsohn hat nach Jahren der Analyse von Völker-morden zahlreiche Daten und Fakten gesammelt und analysiert. 2011 ging er dann mit einer These an die Öffentlichkeit, die nicht von der Hand zu weisen ist. Und zwar ermittelte er bei zahlreichen Konflikten der Vergangenheit den Anteil der jungen Männer im Alter zwischen 15 und 19 Jahren zu dem der 55- bis 59-Jährigen innerhalb einer Bevölkerungsgruppe. Und er kam zu der Erkenntnis, dass dort, wo es viel mehr junge Männer als alte gab, es auch öfter Bruderkriege gab. Heinsohn nennt das Verhältnis zwischen Alt und Jung Bruderkriegsindex. Und der Bruderkriegsindex von Syrien, das 1936 2,2 Millionen Einwohner zählte und heute 22 Millionen, ist hoch, sehr hoch. Auf einen Mann im Alter von 55 bis 59 Jahren kommen vier 15- bis 19-Jährige auf der Suche nach einem Platz im Leben. Diese vom Hormon Testosteron gesteuerten jungen Männer sehen jedoch wenig wirtschaftliche Perspektiven für sich. Doch ohne geregeltes Einkommen kann man auch schwer einen Schwiegervater in spe um die Hand seiner Tochter bitten, eine Familie gründen und ein zufriedenes Leben führen. Zwar verbesserte sich die Ernährungslage der Bevölkerung in den letzten Jahren, die reine Armut sank also, doch das führte dazu, „dass die jungen Männer immer vitaler werden und so antworten sie auf die Aussichtslosigkeit nicht mit Apathie, sondern mit Gewalt“, erklärt Heinsohn gegenüber der PAZ.

Der Wissenschaftler verweist als Beleg für seine These unter anderem auf Algerien. Dort waren in den 70er Jahren noch sieben Kinder pro Frau die Norm. Entsprechend viele junge Männer wuchsen nach und drängten in den 90er Jahren an die wenigen Fleischtöpfe der Nation. Hiermit erklärt der Soziologe dann auch den tiefen Kern des von 1991 bis 2002 andauernden Bürgerkrieges im Land. Bereits während der Konflikte sank die Geburtenzahl pro Frau massiv, inzwischen sind es sogar nur noch 1,7 Kinder. Und somit sank auch der Bruderkriegsindex von fast sechs auf drei, zumal auch rund 150000 bis 200000 Algerier während des Bürgerkriegs starben.

Auch für Afghanistan sieht Heinsohn nicht nur die wechselnde Fremdherrschaft als Ursache des nun seit Jahrzehnten andauernden Kriegszustandes, sondern verweist auch hier auf einen Bruderkriegs-index von sechs. Also sechs junge Männer im Alter von 15 bis 19 Jahren, die eher zur Waffe greifen, als hinzunehmen, dass es für sie keinen Platz in der Gesellschaft gibt. Auch der Bruderkriegsindex in Gaza und Jemen liegt bei sechs und der des Iraks nahe fünf. „Einem 50-Jährigen stehen fünf 20-Jährige gegenüber. Wenn die sich gut organisiert erheben, wird dieser eine weggefegt, aber vier der Jungen bleiben immer noch ohne Posten. Deshalb frisst nun die Revolution zwar nicht ihre Kinder, aber ihre Brüder“, so Heinsohn im „Focus“.

Sieht man, wie brutal und mitleidlos die syrischen Rebellen mit Mitarbeitern der syrischen Post oder der Polizei umgehen, die ja einen vergleichweise gut dotierten Posten haben, obwohl sie im selben Alter sind, dann scheint die Realität Heinsohns These zu stützen. Und auch, wenn sie nicht alles erklärt, so ist sie doch eine Hilfe, um das brutale Morden besser zu verstehen. Rebecca Bellano


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