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15.09.12 / Nächste Bundeswehrreform kommt bestimmt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-12 vom 15. September 2012

Gastbeitrag
Nächste Bundeswehrreform kommt bestimmt
von Dieter Farwick

Die vom damaligen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg initiierte und vom derzeitigen Verteidigungsminister Thomas de Maizière weitgehend übernommene „Jahrhundertreform der Bundeswehr“ sollte der große historische Wurf werden.

Schon nach nur einem Jahr zeigt sich, dass die Skeptiker Recht behalten haben. Es rächt sich, dass die Reform nicht das Ergebnis sorgfältiger Studien – mit der Erarbeitung von Alternativen und der Untersuchung der Konsequenzen für die Streitkräfte – war, sondern das Ergebnis eines politischen Schnellschusses von zwei Ministern. In seiner Vorlage hatte der Generalinspekteur einen Umfang von 163000 Mann als Höchstgrenze empfohlen. Mit einem jährlichen Verteidigungshaushalt von knapp über 30 Milliarden Euro – bescheidene 1,3 Prozent des Bruttosozialproduktes – sind Streitkräfte „von bis zu 185000 Soldatinnen und Soldaten“ nicht angemessen auszurüsten, auszubilden, unterzubringen und zu bezahlen. Die „Jahrhundertreform“ wird die nächsten zwei bis drei Jahre also vermutlich nicht überleben.

Es wäre daher dringend notwendig, unverzüglich mit einer „Reform der Reform“ zu beginnen, um substanzielle Einbußen zu vermeiden, die Qualität und Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr weiter beeinträchtigen. Es ist jedoch zu befürchten, dass sich die Regierung bis zu den Wahlen „durchwurschtelt“.

Das wird der Regierung auch gelingen, weil von der aktiven Generalität und Admiralität keine Forderungen gestellt werden. Seit der unvergessene Verteidigungsminister Volker Rühe mit seinem rüden Führungsverhalten der militärischen Führungsspitze das Rückgrat gebrochen hat, ist diese in der Öffentlichkeit und selbst in den Streitkräften kaum noch wahrnehmbar. Der „Maulkorberlass“, den Minister de Maizière bei seiner Rede am 19. August 2011 in Hamburg vor der Clausewitzgesellschaft verkündet hat, ist der vorläufige Tiefpunkt. Die militärische Führungsspitze schweigt seitdem – nicht nur in der Öffentlichkeit. Sie trägt die Verantwortung für die „Jahrhundertreform“ mit. Ein Rück-tritt eines Generals oder Admirals wegen grundsätzlicher Bedenken gegen die „Jahrhundertreform“ hat nicht stattgefunden.

Da Entscheidungen über Auftrag und Struktur deutscher Streitkräfte „Chefsache“ sein sollten, stellt sich die Frage nach dem Interesse der Bundeskanzlerin an solchen Entscheidungen. Vermutlich will sie neben den Baustellen „Euro-Krise“ und „Energiewende“ keine weitere Baustelle „Bundeswehr“ aufmachen.

Bei der Entwicklung der neuen Struktur der deutschen Streitkräfte muss eine logische Folge der einzelnen Schritte eingehalten werden. Man darf nicht – wie bei der „Jahrhundertreform“ – mit der personellen Stärke und den Ressourcen beginnen. Der erste Schritt ist die Entwicklung einer Gesamtstrategie für Deutschland, die es heute nicht gibt. Die Gesamtstrategie muss ressortübergreifend verstanden werden. Sie wird vom Kanzleramt vorgegeben und durchgesetzt. Sie bildet den verbindlichen Rahmen für Teilstrategien der einzelnen Ressorts. Da die derzeitige politische Struktur diese Aufgabe – weder in der Regierung noch im Parlament – leisten kann, muss ein Nationaler Sicherheitsrat gebildet werden.

Die anspruchsvolle Gesamtstrategie muss folgende Fragen beantworten: Wodurch wird die globale und europäische Gesamtlage gekennzeichnet? Welchen Platz will Deutschland in zehn bis 15 Jahren in Europa und in der Welt einnehmen? Welche Verantwortung will Deutschland in der Nato und der EU übernehmen, auch um die vitalen Interessen und die geistigmoralischen Ansprüche Deutschlands durchzusetzen? Welches sind die Risiken und Gefahren für den Schutz und die Durchsetzung dieser Interessen und Ansprüche? Welche Institutionen bieten sich für ein partnerschaftliches Vorgehen an – wie zum Beispiel UN, Nato, EU oder G20? Welche Staaten mit ähnlichen Interessen und Ansprüchen bieten sich als Verbündete oder Partner an? Welche Verpflichtungen bestehen aus existierenden Bündnissen – wie Nato oder EU – und Partnerschaften – wie mit Israel? Welche Potenziale bringen mögliche Partner ein? Welche geopolitischen und geostrategischen Schwerpunkte sind zu bilden?

Diese Gesamtstrategie ist die Grundlage für Teilstrategien der einzelnen Ressorts, wobei die Vernetzung von innerer und äußerer Sicherheit einer engen Koordinierung der für die Sicherheit relevanten Ressorts bedarf. Die Hauptaufgaben der Bundeswehr bleiben politisch-militärische Beiträge zum internationalen Krisenmanagement im Rahmen von UN/Nato/EU sowie angemessene militärische Beiträge zur Bündnis-/Landesverteidigung und zum Heimat-/Katastrophenschutz.

Bei einer deutlichen Reduzierung der Truppenstärke auf eine realistisch erscheinende Größenordnung von unter 160000 ergeben sich wichtige Fragen: Wie kann Deutschland zukünftig zu gemeinsamen Fähigkeiten in der Nato und in der EU beitragen? Können wichtige Aufgaben im Rahmen einer Rollenspezialisierung und Aufgabenteilung innerhalb der Bundeswehr – zum Beispiel Spezialkräfte – zentralisiert oder in enger Kooperation mit Verbündeten sogar abgeben werden – wie der Lufttransport? Braucht jedes Nato-Mitgliedsland, das auch unter finanziellem Druck steht, das volle Spektrum der militärischen Fähigkeiten? Kann oder soll innerhalb der Bundeswehr die Aufteilung in die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe, Marine, Streitkräftebasis und Sanitätsdienst mit einer starken Streitkräftebasis beibehalten werden? Ist das deutsche Parlament bereit, einer Rüstungskooperation mit anderen Staaten zuzustimmen, die zugleich gemeinsame Rüstungsexporte und gemeinsame Operationen im Bereich der sogenannten „Auslandseinsätze“ und der Bündnis-/Landesverteidigung bedingen? Wie kann eine geringere „aktive“ Truppenstärke durch mehr Reservisten kompensiert werden? Wie umfangreich sind die Verpflichtungen für Truppenstellungen für UN, Nato und EU? Können diese bei geringerer Truppenstärke aufrechterhalten werden? Sollte die Dauer von Auslandseinsätzen für Verbände und einzelne Soldaten zur Steigerung der Effizienz vor Ort verlängert werden? Wie kann die Transparenz und Kommunikation bei weiteren notwendig werdenden Standortschließungen verbessert werden? Wie kann der Dienst in der Bundeswehr zukünftig so attraktiv gestaltet werden, dass qualifizierter Nachwuchs – besonders für die Offiziers- und Unteroffizierslaufbahn – gewonnen wird? Qualität und Motivation der Soldatinnen und Soldaten sind wichtiger als jede Struktur.

Die Regierung muss – mit der Kanzlerin an der Spitze – die Sicherheitspolitik mit ihren Auswirkungen auf die Streitkräfte wieder in die öffentliche Diskussion einbringen. Allerdings besteht – angesichts des beginnenden Wahlkampfes – nur geringe Hoffnung, dass die „Reform der Reform“ noch vor den nächsten Bundestagswahlen angepackt wird. Es sind – auch wegen des „Maulkorberlasses“, der offenbar ein Denkverbot impliziert – keine Initiatoren in Sicht, die den Mut und die Mittel haben, diese „heiße Kartoffel“ anzufassen. Unabhängig davon, welche Parteien die nächste Regierung bilden werden, muss diese Aufgabe unverzüglich nach der Regierungsbildung in Angriff genommen werden. Vorausdenken kann nicht schaden.

 

Brigadegeneral a.D. Dieter Farwick ist Autor des im Osning Verlag erschienenen Buches „Wege ins Abseits. Wie Deutschland seine Zukunft verspielt“.


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