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29.09.12 / Leben wie Gott in Südfrankreich / Die Köchin, die Weberin und die Winzerin: Begegnungen mit drei außergewöhnlichen Frauen des Beaujolais

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-12 vom 29. September 2012

Leben wie Gott in Südfrankreich
Die Köchin, die Weberin und die Winzerin: Begegnungen mit drei außergewöhnlichen Frauen des Beaujolais

Südfrankreich – da denkt man an Sonne, Strand und blaues Meer. Diesmal aber führt der Weg in weniger bekannte Gefilde als in die Provence oder an die Côte d’Azur. Abseits ausgetretener Touristenpfade, in der Region Rhône-Alpes, gibt es insbesondere im Herbst zur Zeit der Weinlese vieles zu entdecken und zu erschmecken: Kunst und Kultur ganz allgemein – und im Besonderen Koch-Kunst und Ess-Kultur.

Im Zentrum der Region liegt die 2000 Jahre alte Stadt Lyon, die mit Fug und Recht als Wiege der französischen Kochkunst bezeichnet werden kann. Wer es in Paris als Küchenchef zu Ansehen und Sternen gebracht hat, stammt nicht selten aus dieser Gegend, in der Milch und Honig fließen. Der berühmteste Koch der Welt ist hier zu Hause: Paul Bocuse, mittlerweile weit über 80, hat es vorgezogen, nicht nach Paris zu gehen, sondern zu bleiben, wo seine Wurzeln sind und er die besten, schmackhaftesten Produkte direkt vor der Haustür findet.

Sein Handwerk hat Bocuse bei einer Frau gelernt: „Mère Brazier“, eine der berühmten „Mütter“ von Lyon. Sie selbst, Jahrgang 1895, weilt natürlich nicht mehr unter den Lebenden, aber ihr Restaurant „Mère Brazier“ hat überlebt, und es weht noch immer ein Hauch ihres Geistes durch die Räume.

Diese „Mères“ genannten Köchinnen waren im Lyon der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Institution. Sie führten selbstständig ihr Restaurant, kochten bodenständige Gerichte aus frischen Produkten der Region zu erschwinglichen Preisen und stellten so einen Kontrapunkt dar zur raffinierten, bisweilen schon dekadenten „Haute Cuisine“ des Großbürgertums.

Im urtümlichen Restaurant begegnet man Eugénie Brazier dann sogar persönlich in Form eines ganz und gar lebensecht wirkenden Portraits: Sie wirkt weder schön noch elegant, dafür rund und gesund, resolut und rustikal. Man kann sich gut vorstellen, wie sie einst „Liebe und Hiebe“, beides wohl dosiert, zum Einsatz brachte, um dem jungen Paul Bocuse das Einmaleins des Kochens beizubringen.

Den oberhalb des Lokals der Mère Brazier gelegenen Hügel des „Croix-Rousse“ erkundet man am besten zu Fuß. In früheren Zeiten Sitz der Seidenweber, zählt er heute zum Unesco- Weltkulturerbe. Mit Seide hatte es die Stadt zu Reichtum gebracht, aber wie so oft, blieb an den Werktätigen vom Wohlstand herzlich wenig hängen. Das Geld verdienten die Seidenhändler, denen das Rohprodukt gehörte und in deren Auftrag die Weber tätig waren. Festpreise für ein fertig gewebtes Stück gab es nicht, das war Verhandlungssache. Alte Dokumente von Hungersnöten und blutig niedergeschlagenen Weberaufständen erinnern an vergleichbare Zustände in deutschen Landen, an die Not der schlesischen Weber im 19. Jahrhundert.

Heute stellt das Weben von Seide ein Kunsthandwerk dar, das nur noch ganz Wenige auszuüben verstehen. Eine Frau, die diese Kunst in Vollendung beherrscht, ist Agnès Alauzet. Ganz oben auf dem Hügel im „Maison des Canuts“, dem Museum der Lyoner Seidenweberei, ist sie zuständig für die fachlichen Demonstrationen an den wenigen noch erhaltenen historischen Webstühlen. Als einzige im Team des Museums ist sie außerdem in der Lage, diese instandzuhalten und bei Bedarf zu reparieren.

Äußerst konzentriert, in sich gekehrt und fast scheu, demonstriert Madame Alauzet die hoch komplizierten Vorgänge, mit denen bunte Blütenmuster oder edler Seidensamt gewebt werden. Wie ihre Kollegen berichten, hatte sie unlängst einen Spezialauftrag aus dem niederländischen Königshaus: Nach historischer Vorlage hat sie einen neuen Seidenbezug gewebt für den Thron von Königin Beatrix.

Das eigentliche Herz der Region schlägt jedoch auf dem Lande. Ein Ausflug führt von Lyon aus in nordöstlicher Richtung ins Beaujolais. Durch eine sanfte Hügellandschaft mit Laubwäldern und Weinbergen geht es ins kleine Winzerdorf Chénas, ein paar Kilometer südlich von Mâcon. Hier lebt eine Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht und mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht drei „Jobs“ gleichzeitig bewältigt: Nathalie Fauvin ist selbstständige Winzerin mit eigenem Weinberg, Wirtin einer Hotelpension und Mutter einer kleinen Tochter.

„Wenn man so glücklich ist wie ich, geht alles irgendwie“, sagt sie bescheiden. Mutter Josette steht ihr in der Küche und im Betrieb zur Seite, wenn Gäste Halbpension buchen, was sehr zu empfehlen ist. Denn „Mère Josette“ kocht genau so gut wie einst die berühmten Mères Lyonnaises. Natürlich muss man als Gast auch noch die Weine des Hauses probieren, die auf dem insgesamt fünf Hektar großen, vom Großvater ererbten Weinberg gedeihen. Und es lohnt sich: Aus der Rebsorte Gamay produziert Nathalie Fauvin Burgunder, die den Gaumen verwöhnen. Die Trauben werden von Hand gelesen, danach reift der Wein im Holzfass, um eine schöne, dunkelrote Farbe und eine angenehme Balance aus Fruchtaromen und Tanninen zu bekommen.

Am nächsten Morgen, bei einem ausgezeichneten und für französische Verhältnisse herzhaften Frühstück mit Croissants, Brioches, Rührei, Speck und Milchkaffee genießt man von der Panoramaterrasse aus den weiten Blick vom Hügel über das noch vom Morgennebel verhangene Tal. Ein abschließender Blick gilt Nathalies kleinem Museum mit einer interessanten Sammlung alter Gerätschaften und historischer Fotos, die den Weinbau von früher dokumentieren.

Drei außergewöhnliche Frauen haben wir in diesen Tagen getroffen – zwei, die mitten im Leben stehen und eine historische Persönlichkeit. Beruflich engagiert und tüchtig, haben sie ihr Leben selbst in die Hand genommen. Hier im Beaujolais lassen die Männer den Frauen gerne den Vortritt, solange der Wein nur in Strömen fließt. Angelika Fischer


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