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06.10.12 / Im Hafen zu Hause / Geschichten über Abenteurer und Aussteiger

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-12 vom 06. Oktober 2012

Im Hafen zu Hause
Geschichten über Abenteurer und Aussteiger

Seit es Seeleute gibt, wird Seemannsgarn gesponnen. Vieles davon findet man zwischen zwei Buchdeckeln. Die Menge an Lebenserinnerungen von Seeleuten und Seefahrtsgeschichten ist gerade in den letzten Jahren schier unübersehbar geworden. Letztendlich aber gleichen sich die meisten Geschichten. Da nimmt man gern ein Büchlein wie das von Michael Buschow zur Hand, das aus dem Rahmen fällt. Buschow schreibt in 17 kurzen und selbst erlebten Geschichten von unkonventionellen Menschen, Aussteigern und Abenteurern, die in dunklen Hafenecken in ungewöhnlichen Lebenssituationen ihrer Wege gehen.

Die Schiffe, auf denen sie leben, sind in die Jahre gekommene Arbeitsschiffe oder aus fast schon Wracks zurechtgezimmerte schwimmende Objekte, fern von Yachthäfen und High Society. Es geht hier um die Erfüllung von Lebensträumen jenseits vom abbezahlten Reihenhaus, manchmal aber auch einfach ums Überleben, um den Kampf mit den Behörden, denn der Platz wird in den Häfen immer knapper, die Flut an Vorschriften dafür immer größer. Der Autor, der selbst zur See gefahren ist und seit Jahren auf einem alten Plattbodensegler lebt, schreibt, wie im Vorwort angekündigt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und gibt einen tiefen Einblick in eine Randgruppe der Gesellschaft, die von außen nicht wahrgenommen wird. Es ist allerdings manchmal die deftige Sprache des Seemanns, auf die sich der Leser einstellen muss, wie schon der Titel zeigt. Aber gerade das macht Buschows Erzählungen authentisch.

Man merkt das echte Interesse, das er den Menschen entgegen bringt, und liest gern, wie Poller-Elly, die jahrzehntelang dem horizontalen Gewerbe nachging, mit dem Rentner Fiete auf der alten Hafenbarkasse ihres Großvaters ein bescheidenes Glück findet. Es wird improvisiert in den Schifferkreisen, mit frischgefangenem Fisch vom selbstgebauten Grill, Aldi-Konserven Dosenbier und geschmuggeltem Rum. Es sind eher Männer, die vom „Kap-Horn-Gen befallen werden, das heißt von Abenteuern träumen, und das ganze Geld und die gesamte Arbeitskraft in irgendeinen schwimmenden Schrotthaufen stecken, um damit mal auf Große Fahrt zu gehen“, oftmals nach einer gescheiterten Biografie mit Frau, Kindern und Beruf, die sie hinter sich lassen. Irgendwie sind sie alle gescheiterte Existenzen, Verlierer des Lebens und doch auf eine Weise reich, die Otto Normalverbraucher fremd ist. Buschow bringt sie ihm ein ganzes Stück näher.

Das hier geschilderte Schifferleben ist unangepasst und individualistisch. Wenn das Schiff noch fahrtauglich ist, geht die Reise nicht unbedingt auf große Fahrt, aber nach Holland, zu den Nord- und Ostfriesischen Inseln, in die Ostsee, durch Flüsse und Kanäle tief ins Binnenland. Wie so ein Leben finanziert werden kann, bleibt allerdings vage, und der Kontakt mit den zuständigen Behörden ist oft problematisch.

Es ist ein außergewöhnliches Buch, spannend geschrieben und äußerst kurzweilig und gut zu lesen. Für „Landratten“ gibt es einen erklärenden Anhang mit den Fachbegriffen. Haben Schiffe eine Seele, fragt Buschow im Kapitel „Schiff im Schilf“, wo ein Binnenschiffer mit seinem Kanalschlepper nach Vortäuschung des Unterganges „untertaucht“ und das Ende des Krieges im verschilften Seitenarm des Emskanals erlebt. Die Antwort lautet „ja“, denn der Autor haucht ihnen Leben ein. Britta Heitmann

Michael Buschow: „Poller-Elly und Rattenpack. Von ungewöhnlichen Menschen auf ungewöhnlichen Schiffen“, Werner Pieper & die Grüne Kraft, Löhrbach 2012, broschiert, 93 Seiten, 11 Euro


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