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13.10.12 / Todesangst in Aleppo / Christen in Syrien befürchten Genozid und verteidigen sich gegen Rebellen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-12 vom 13. Oktober 2012

Todesangst in Aleppo
Christen in Syrien befürchten Genozid und verteidigen sich gegen Rebellen

Zum ersten Mal im syrischen Bürgerkrieg haben sich Christen in Aleppo bewaffnet, um auf Seiten der Regierungstruppen ihre Wohnviertel zu verteidigen. Vor allem die Armenier fürchten einen zweiten Genozid nach 1915, weil die „Freie Syrische Armee“ von der Türkei aus operiert und von turkmenischen Truppen in Syrien unterstützt wird.

In Aleppo leben 300000 Christen, die verschiedenen Glaubensrichtungen angehören, das sind 25 Prozent der Einwohner der Stadt. Damit ist die Stadt die drittgrößte christliche Metropole des Nahen Ostens nach Beirut und Kairo. Historisch hatten die Christen in der Wirtschaftsmetropole Aleppo die Aufgabe, als Mittler im Handel der Stadt mit den europäischen Abnahmemärkten zu fungieren. Besonders für viele Armenier, die 1915 dem Massaker in der osmanischen Türkei entkommen konnten, war Aleppo vor 100 Jahren ein rettender Hafen. Heute leben noch 60000 Armenier in Aleppo, viele sind  in den 1950er Jahren mit einer Sondergenehmigung auch aus der Sowjetunion eingewandert.

Als der syrische Bürgerkrieg Ende Juli nach der Ermordung des christlichen syrischen Verteidigungsministers Daud Radschha auch in das bis dahin verschonte Aleppo kam, trat der Konflikt in eine entscheidende Phase, was die Rebellen mit dem hochtrabenden Begriff „Mutter aller Schlachten“, der einst auch von Saddam Hussein gebraucht worden war, ausdrückten. Im Nahen Osten haben religiöse und nationale Minderheiten seit jeher die Tendenz, geschlossen zu siedeln, auf dem Lande, aber auch in geschlossenen Stadtvierteln. So auch in Aleppo, wo die von Kurden und Alawiten bewohnten Viertel im Norden der Stadt sich von der Regierung bewaffnen ließen und als erste zur Selbstverteidigung übergingen. Ihre Viertel sind deshalb weitgehend vom Bürgerkrieg verschont geblieben. Die Christen, die, weil sie zu den ersten Bewohnern der Stadt gehören, in Aleppo eher im Zentrum zu finden sind, befinden sich so auch im Zentrum der Auseinandersetzungen. Nachdem die Rebellen von den sunnitischen Vierteln im Süden und Osten der Stadt allmählich auch auf das Zentrum übergriffen, begannen christliche Pfadfindergruppen, die Kirchen zu bewachen.  Aus diesen zunächst unbewaffneten Selbstschutzgruppen sind jetzt die ersten von der Regierung bewaffneten christlichen Selbstschutzmilizen geworden, die im Kampf um Aleppo eine immer wichtigere Rolle spielen, weil sie ortskundig sind.

Solchen christlichen Milizen ist es in den letzten Wochen gelungen, die Rebellen aus den großen Christenvierteln Jdeideh und Aziziyeh zurückzudrängen beziehungsweise sie an einer Besetzung dieser Viertel zu hindern. Scharfschützen der „Freien Syrischen Armee“ hatten zuvor von den Dächern der Hochhäuser aus begonnen, Kirchenbesucher  der maronitischen und armenischen Kirchen zu beschießen. Da die Rebellen es in Aleppo nicht geschafft haben, syrische Oppositionelle in genügender Zahl von ihrem Kampf zu überzeugen, wird ein großer Teil des Kampfes in Aleppo von ausländischen Dschihadisten geführt, darunter auch einige mit al-Kaida verbündete Gruppen. Dies hat zu einer Brutalisierung der Kämpfe auf beiden Seiten geführt. Gefangene werden kaum noch gemacht, willkürliche Massenerschießungen sind an der Tagesordnung. Die Meldung der armenischen Nachrichtenagentur „Armenpress“,  dass sich unter den ausländischen Söldnern der „Freien Syrischen Armee“ besonders viele Azeris, Türken und Tschetschenen befänden, also die historischen Feinde der Armenier, hat viele Armenier zusätzlich motiviert, zu den Waffen zu greifen.

Beunruhigt hat die Armenier vor allem, dass Ebu Mohammed Suleiman an der Spitze einer turkmenischen „Sultan Abdulhamid Han Brigade“ mit 400 Kämpfern auf Seiten der Rebellen in den Bürgerkrieg eingetreten ist und das Viertel Suleiman Halebi  in Aleppo, das von Turkmenen bewohnt wird, unter seine Kontrolle gebracht hat. Die Turkmenen sind der verlängerte Arm Ankaras, die Forderungen der Türkei nach der Einrichtung einer Sicherheitszone entlang der türkisch-syrischen Grenze könnte genau zum Schutze dieser allerdings kleinen türkischen Volksgruppe innerhalb Syriens gedacht sein. Die Turkmenen fürchten vor allem, dass die Kurden der PKK entlang der türkischen Grenze in der Aleppo-Provinz einige Dörfer der Turkmenen besetzen könnten.  Die Kurden, die anderswo in Syrien das Assad-Regime unterstützen, verhalten sich in Aleppo eher neutral. Sie weigern sich, ihre von der syrischen Regierung ausgehändigten Waffen auf die Rebellen zu richten, und werden so von diesen vorerst noch verschont.

Neben den christlichen Selbstschutzmilizen haben sich andere so genannte „Lijan Milizen“ (Volkskomiteemilizen) unter der drusischen, schiitischen, kurdischen und sunnitischen Bevölkerung gebildet, die das Assad-Regime unterstützen. In Aleppo hat sich auch eine starke sunnitische Miliz des al-Berri-Stammes den Regierungstruppen angeschlossen, weil einer der Stammesführer, Zayno al-Berri, vor laufenden Kameras von Rebellen gefoltert und ermordet wurde.

Die Bewaffnung der Minderheiten bedeutet eine weitere Eskalation des syrischen Bürgerkrieges. Mit der Bewaffnung der Christen verfolgt Baschar al-Assad die Taktik, den Konflikt weiter zu konfessionalisieren. Als Beschützer der Minderheiten, die in Syrien etwa 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, glaubt sich das Assad-Regime noch länger an der Macht halten zu können. Für die Christen könnte ihre Bewaffnung indes zu einem Dilemma führen, denn sie könnte den Verdacht der Muslime, dass alle Christen Spione des Westens seien, noch verstärken. Deshalb lehnen alle offiziellen kirchlichen Vertreter gleich welcher Konfession, allen voran der Papst bei seinem jüngsten Besuch im Libanon, eine aktive Teilnahme der Christen an diesem bewaffneten Konflikt ab. Der Papst hatte die Christen in Beirut ermahnt, „Elemente des Friedens und der Versöhnung“ zu werden. Genau 30 Jahre zuvor, am 14. September 1982, hatten christliche libanesische Milizen in Beirut 1000 Palästinenser in einer Racheaktion ermordet. Mit dem Schutz der Palästinenser hatte damals auch das Assad-Regime seine Intervention im Libanon gerechtfertigt. Heute herrschen in Syrien Verhältnisse, die schlimmer sind als der libanesische Bürgerkrieg.       Bodo Bost


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