25.04.2024

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13.10.12 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-12 vom 13. Oktober 2012

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Verrottete Wiege / Warum die Deutschen eine Ermahnung benötigen, wie wir Samaras verstanden haben,  und was Sokrates dazu sagen würde

Kaum etwas fürchten Politiker so sehr wie den Moment, in dem das Volk spitzkriegt, dass sie sich verrannt haben. Denn dies ist der Augenblick, in dem die Menschen an der überlegenen Weisheit ihrer Führung zu zweifeln beginnen und frech werden.

In solchen Momenten muss alles getan werden, um das Volk wieder klein zu machen. Das erreicht man am besten, indem man die Leute auf der Straße moralisch unter Verdacht stellt, ihnen also ein schlechtes Gewissen einredet, indem man sie mit düsteren Ermahnungen überschüttet. Bei den Deutschen wirkt sowas besonders gut; wir sind süchtig nach Ermahnungen, das ganze Land ist nicht von ungefähr vollgestellt mit Mahnstätten, zu denen wir von Schülertagen an hinpilgern (oder hingepilgert werden).

Normalerweise sind Nationalfeiertage Anlass, stolz auf die eigenen Leistungen zu blicken und die großartigen Aussichten zu preisen, die sich die Nation mit ihren eigenen Händen geschaffen hat. Man feiert sich selbst.

Aber irgendetwas scheint dieses Jahr ganz und gar nicht normal zu sein. Die Führung des Landes hat Angst, sie fürchtet, die Deutschen könnten ihrem Versagen auf die Schliche kommen und feuerte daher zum 3. Oktober eine ganze Salve Ermahnungen ab.

Ob Kirchenfürsten oder Politiker unterschiedlichster Parteien: Alle hielten nahezu die gleiche Rede – fast wie in einer gut organisierten Diktatur, wo die Reden zu großen Feiertagen zentral verfasst und an alle Chargen zum Nachsingen verteilt werden. Alle warnten und mahnten uns, warnten vor „deutscher Überheblichkeit“ und mahnten uns zu „Bescheidenheit“ und „europäischer Solidarität“.

Wer die Texte nacheinander auf sich niedergehen ließ, musste schmunzeln, so zum Verwechseln ähnlich waren sich die Tiraden. Das Schmunzeln ging schnell in lautes Gelächter über, als man sich vor Augen hielt, welche Kaste da eigentlich spricht. Überheblich? Wir? Die haben wirklich Humor: Unionsfraktionschef Volker Kauder war es doch, der unlängst polterte, dass in „Europa jetzt Deutsch gesprochen“ werde. Kanzlerin Merkel mäkelte 2010 an den angeblich faulen Spaniern herum, die sich an den Deutschen ein Beispiel nehmen sollten. Und SPD-Kanzleranwärter Peer Steinbrück drohte als damaliger Bundesfinanzminister einem kleinen europäischen Nachbarstaat mit der „Kavallerie“.

Und aus den Reihen solcher Leute droschen am 3. Oktober jene Ermahnungen auf die Deutschen nieder, nur nicht „überheblich“ zu werden. Die ziehen ihr Volk allen Ernstes zur Rechenschaft für Sprüche, die sie oder Ihresgleichen selbst vom Stapel gelassen haben.

Also muss ihre Not wirklich groß sein. Irgendetwas sehr, sehr Peinliches steht offenbar kurz davor, nun aufzufliegen.

Was das sein könnte? Einen Hinweis bekamen wir zum Besuch von Angela Merkel in Athen. Pünktlich zu ihrer Ankunft gab die Euro-Gruppe bekannt, dass Hellas die nächsten 31,5 Milliarden Euro an Hilfskrediten bekomme, und zwar noch im November. Der deutsche Anteil liegt bei achteinhalb Milliarden. Als die Deutschen das erfuhren, konnten sie gerade live im Fernsehen verfolgen, wie hasserfüllte Griechen alles verfemten, was sie für deutsch hielten und die deutsche Regierungschefin als „Schlampe“ und Schlimmeres verunglimpften.

Selbstverständlich fehlte es nicht an wohltemperierten Stimmen, die den Michel ermahnten, das doch „im Zusammenhang“ zu sehen. Mag sein, aber langsam hat Michel solche Erklärungen satt, wie Umfragen belegen. Ihm schwant, dass das alles nur Gelaber sein könnte, welches nur darüber hinwegtäuschen soll, dass sich seine Politiker fürchterlich vergaloppiert haben und nun nicht mehr wissen, wie sie da wieder herauskommen sollen.

Da galt es, den Michel moralisch in die Zange zu nehmen, ihm die sinnlose Zahlerei gleichsam abzupressen: Und willst Du nicht die willige Melkkuh sein, dann kommen heute Nacht die Dämonen der Geschichte und fressen Dich auf, buhuhuuuuh! Derart eingeschüchtert wagt man ja gar nicht zu fragen nach dem, was „die da oben“ uns einge­brockt haben mit ihrem atemberaubenden Euro-Gebäude.

Immerhin haben sich Frau Merkel und ihr griechischer Kollege Antonis Samaras in Athen sehr gut verstanden, beteuern die beiden. Gut, das freut uns. Allerdings interessiert uns weniger, wie sie sich verstanden haben als vielmehr – was?

Samaras verwies nach dem Gespräch mit Merkel auf die großen Opfer, welche die Griechen gebracht hätten, und verkündete: „Was wir von der EU verlangen, ist das Recht, nach all diesen Opfern Erfolg zu haben, aus der Krise herauszukommen.“

Wie? Die Griechen „verlangen“ von der EU das Recht, aus der Krise herauskommen zu dürfen? Wer verweigert ihnen das denn? Wie meint Samaras das? Hat ihm Brüssel (oder gar Berlin, für viele Griechen ist das das Gleiche) verboten, ein Steuersystem oberhalb der Schwelle eines ruinierten Entwicklungslandes aufzubauen? Nimmt die EU den Griechen das Recht, ihre Verwaltung auf Vordermann zu bringen? Natürlich nicht, das weiß Samaras sehr genau. Was er wirklich meint, ist daher ganz leicht zu übersetzen. Er wollte sagen: Es geht uns schlecht, und von Euch „verlangen“ wir, dass es uns wieder besser geht. Mit anderen Worten: Da hat sich jemand jahrelang nicht mehr die Zähne geputzt und „verlangt“ nun von seinen Nachbarn ein Ende der Schmerzen.

Wir verstehen uns einfach nicht, die Griechen und wir. Ein bekannter griechischer Schriftsteller will das Missverständnis kitten und möchte, dass sich Germanen und Hellenen näherkommen. Zu diesem Zweck sollten die Deutschen ihrer kalten Logik etwas mehr Herz beimischen; seine Landsleuten sollten sich hingegen neben ihrem Herzen auch eine Dosis Logik verordnen.

So etwas von einem Griechen zu hören, stimmt nachdenklich. Die Hellenen können vor Stolz kaum gehen in Erinnerung an ihre leuchtende Frühzeit. Was aber zeichnete das antike Hellas aus? Na klar: Logisches Denken, Ordnungssinn sowie strenge Staats- und Gesetzestreue. Legendär zusammengefasst ist das alles in der Tragödie des Sokrates. Der Philosoph war vom Volk von Athen per Scherbengericht zum Tode verurteilt worden. Selbst seine Richter erkannten jedoch bald, dass das Urteil grob ungerecht war, und bestürmten den alten Mann zu fliehen. Niemand würde ihn aufhalten.

Aber Sokrates wollte buchstäblich ums Verrecken nicht, weil das Urteil rechtskräftig sei und er das heilige Recht nicht verhöhnen könne. Denn, hier kommt die „kalte Logik“ ins Spiel, wenn jeder das täte, wäre ja bald alles Recht dahin. Und das, Stichwort Staatstreue, würde Athen in seinen Grundfesten erschüttern. Also trank der geradlinige Greis den Giftbecher unter den Augen seiner weinenden, von Selbstvorwürfen gepeinigten Richter.

Für unsere Vorfahren hatten die alten Griechen die Bezeichnung „Barbaren“ parat, weil deren Denken angeblich nicht von klaren, logischen Gesetzen, sondern von stürmischen Regungen diktiert gewesen sei. Weil sie keine richtigen Staaten gebildet hätten mit strengen Regeln für jedermann, sondern weil sie in griechischen Augen im Zustand gefühlsduseliger Anarchie vegetierten. 

So war es, das alte Griechenland, auf das die heutigen Griechen so unsagbar stolz sind. Tragischerweise ist kaum ein europäisches Land denkbar, das sich weiter von der Welt und dem Denken eines Sokrates entfernt hätte als ausgerechnet das zeitgenössische Hellas. Ja, dort stand die „Wiege der abendländischen Kultur“, aber die Wiege ist verrottet, und der Balg kommt nun in Gestalt „kalter Logik“ aus den germanischen Wäldern zurück an seinen Geburtsort – wo er offenkundig alles andere als willkommen ist.

War das jetzt „überheblich“? Macht nichts. Warum soll das nur der Kauder dürfen?


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