23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.10.12 / Für Völkermord entschuldigt / Türkischer Kommunalpolitiker beendet Leugnung des Genozids an den Armeniern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-12 vom 20. Oktober 2012

Für Völkermord entschuldigt
Türkischer Kommunalpolitiker beendet Leugnung des Genozids an den Armeniern

Zum ersten Mal hat sich ein bekannter türkischer Lokalpolitiker, Osman Baydemir, für den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten entschuldigt. Der Bürgermeister von Diyarbakir sagte nach einer Meldung der türkischen Zeitung Hurriyet wörtlich: „In meinem Gewissen verurteile ich die Grausamkeit von 1915. Wir lehnen das Erbe unserer Großvätern ab, die an diesem Massaker teilgenommen haben, wir wollen kein Teil mehr von dem sein, was sie erlebten, und wir gedenken derer, die es damals abgelehnt haben, ein Teil der Mordmaschinerie zu sein.“ Baydemir ist Mitglied der den Kurden nahestehenden „Frieden und Demokratie Partei“ (BDP), die nach den beiden staatstragenden Parteien, der islamistischen AKP von Premier Erdogan und der kemalistischen Republikanischen Partei (CHP) von Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroglu, die drittstärkste politische Kraft in der Türkei ist.

Während des Ersten Weltkrieges hatte die „Reform-Regierung“ der sogenannten „jungtürkischen Bewegung“ in der Türkei alle Minderheiten zu Staatsfeinden erklärt. Armenische, assyrische und chaldäische Männer wurden aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben, in Gewalt- und Todesmärschen durch das Landesinnere getrieben, wo sie verhungerten und verdursteten, die Frauen und Kinder wurden versklavt. Schätzungen gehen von 1,5 Millionen Toten aus. Nur in ganz unzugänglichen Bergregionen im Südosten Anatoliens konnten wenige Chaldäer und Assyrer überleben. Dieser Völkermord an den Armeniern wird bis heute von der Türkei entweder geleugnet oder als „kriegswichtige Maßnahme“ schöngeredet und gerechtfertigt.

Der Bürgermeister von Diyarbakir sprach auf einem vom Presseclub Yerevan organisierten Dis­kussionsforum in seiner Stadt, das sich mit den türkisch-armenischen Beziehungen befasste. Er sagte: „Ein Armenier, ein Assyrer und ein Chaldäer, dessen Groß- oder Urgroßvater in Diyarbakir geboren wurde, hat ebenso ein Recht, in Diyarbakir zu leben, wie ich es habe. Das sage ich als ein in Diyarbakir geborener Kurde. Ich würde gerne alle ethnischen Gruppen, deren Vorfahren in Di­yarbakir lebten, wieder in die Stadt einladen. Kommt zurück in eure Stadt!“ Zu der in der Türkei in offiziellen Stellungnahmen vorherrschenden Verdrängungs- und Leugnungsmentalität sagte Osman Baydemir dies: „Die Verbrechen, die einige unserer Vorfahren begangen haben, zu leugnen wäre, als würde man ein Teil davon.“ Dies waren bemerkenswerte Sätze, besonders in einem Land, dessen nationale Identität auf dem Kampf der Jungtürken basiert und das seit der Machtübernahme von Erdogan 2002 auch seine religiöse Identität mit dem Türkentum auf fast schon absurde Art überhöht hat. Das Thema Armeniergenozid bleibt eines der letzten Tabus des türkischen Staates, denn eine Anerkennung des Völkermordes würde den Gründungsmythos der Republik ins Wanken bringen.

In Diyarbekir wurden unter Führung von Bürgermeister Baydemir bereits mehrere Projekte zugunsten der Minderheiten gestartet. So wurden mit Hilfe der Stadt mehrere sogenannte Cemevleri, Gebetshäuserder Aleviten, die in der Türkei immer noch nicht als eigene Konfession des Islam anerkannt sind, gebaut. Am 22. Oktober 2011 war die restaurierte armenische St.Guiragos-Kathedrale (Surp Giragos) mit einer Zeremonie eröffnet worden. Zur Wiedereröffnung der Kirche nach 97 Jahren fand zum ersten Mal wieder ein Konzert in dieser Kathedrale statt.

Heute ist allgemein bekannt, dass die Türken 1915 die Schmutzarbeit auf den Todesmärschen den kurdischen Milizen, den sogenannten „Hamidiye Truppen“, überlassen hatten, um so den Hass der Armenier auf ihre eigentlichen Nachbarn, die Kurden, zu lenken. Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass jetzt von kurdischer Seite in der Türkei die stärksten Versöhnungsgesten kommen.

Osman Baydemir, ein 41-jähriger Jurist, gilt als einer der profiliertesten Politiker der BDP. Er hat es auch gewagt, seine Partei von der terroristischen PKK abzugrenzen, deren Führer Öcalan seit elf Jahren im Gefängnis sitzt. Bereits 2007 hatte sich Baydemir nach dem Mord an dem armenischen Journalisten Hrant Dink in Istanbul zu einem friedlichen Miteinander zwischen den einst verfeindeten Volksgruppen bekannt und dafür Morddrohungen erhalten. Bodo Bost


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren