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27.10.12 / Herbstarbeiten / Handarbeiten im Kreise der Familie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-12 vom 27. Oktober 2012

Herbstarbeiten
Handarbeiten im Kreise der Familie

Wenn der Herbst kommt, und Sturm und Regen unbarmherzig um den Dachfirst brausen, erinnere ich mich immer gern an daheim. Um diese Zeit war die Feldarbeit vorbei, Scheune, Keller und Steintöpfe gefüllt. In den Kachelöfen prasselte das Feuer und der Andrang auf der Ofenbank nahm zu. Aus der Röhre duftete es nach Bratäpfeln und aus der Küche um diese Zeit nach manchem Gericht, das wegen längerer Vorbereitungszeit den Sommer über nicht auf den Tisch gekommen war, weil die viele Feldarbeit dem entgegengestanden hatte.

Aufgehoben worden waren auch eine Menge Flickarbeiten. Sie füllten nun weitgehend die Nachmittage von Mutter und Großmutter. Manchmal kam auch eine Nachbarin mit einem Strickstrumpf dazu. Und alles ging bei fröhlichem Geplauder leicht von der Hand. Waren die Flickarbeiten beendet wurde an die Neuschöpfungen gedacht. Das begann mit einem großen Beutelgeschorener, gewaschener Schafwolle, die zunächst zu duftigen, wolkigen Bauschen gestockt wurde, wozu sich, wie Großmutter immer sagte, Kinderfinger besonders gut eigneten. Das stand wie ein Gesetz neben dem Rohmaterial, wenn manchmal Lust und Ausdauer fehlten. Nach dem Tocken wurde die Wolle gekemmelt und schon konnte das Spinnrad surren. Und dann gab es auch schon bald eifriges Strick-nadelgeklapper. Auch die Scheren wurden an manchem Nachmittag länger in Tätigkeit gesetzt, und zwar zur Vorarbeit für andere Schöpfungen. Aus alten Kleidungsstücken wurden ungefähr zwei Zentimeter breite Streifen geschnitten, aus denen auf dem Webstuhl, der in einer sonst ungenutzten Stube stand, bunte Flickendecken entstanden. Ging es dem Totensonntag entgegen, wurde mit dem Fertigen von Grabschmuck begonnen. Dazu wurden bei uns aus Buntpapier kleine Quadrate geschnitten und zwei der nebeneinanderliegenden Ecken bis zur Hälfte der Seitenlinie auf Stricknadeln gewickelt. Das Gewickelte wurde dann zusammengeschoben, so erhielt man, wenn man das glatte Ende etwas raffte, ein Rosenblatt. Davon wurden dann mehrere zusammengefügt und zu einer Rose gebunden. Auf Tannenzweigen zusammen mit lackierten Tannenzapfen aufgebracht ergab sich ein liebevoll gefertigter ansehnlicher Grabschmuck für den Winter. Und das Gefühl für die verstorbenen Angehörigen etwas getan zu haben, stand dabei noch für sich. Auch die Männer verbrachten die Tage nicht müßig. Sie flochten Körbe, fertigten Schlorren und Holzschuhe (Dippkes), Schwengel und Traghölzer. Sielen und Zaumzeug wurde geflickt, Holz wurde gesägt und gehackt. Kleine Stücke für den Küchenherd, lange Spalthölzer für die Kachelöfen. Klobenstücke für den Backofen, in der Dämmerung wurde zum letzten Mal beschickt.

Waren die Tiere versorgt, dann gab es Abendbrot. Anschließend fand sich die Familie so nach und nach in der Stube ein. Es wurde dies und das erzählt. Auch Kriegs- und Spukgeschichten schlichen sich immer wieder ein und ließen so manches liebe Mal die Gänsehaut wachsen. Von Sehenden (zweites Gesicht) und von der Mar war die Rede, und von vielem Undeutbaren mehr. Wenn man vor dem Schlafengehen dann den Herbstwind in dem breiten Schornstein heulen hörte, war das Sich-geborgen-wissen im Schoße der Familie schon etwas, das zählte. Als erfreulich erwies sich außerdem, dass um diese Zeit schon auf manche heimliche Weihnachtsvorbereitung zu schließen war. Dafür gab es Anzeichen! Schön und anheimelnd waren sie, die Spätherbsttage in der Heimat, denen der Schein der Petroleumlampe besondere Gemütlichkeit verlieh.

Hannelore Patzelt-Hennig


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