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03.11.12 / Weiter ohne Vater / Kriegskind erinnert sich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-12 vom 03. November 2012

Weiter ohne Vater
Kriegskind erinnert sich

In „Rauke, Melde und Löwenzahn“ berichtet die 1935 geborene Stella Bruhns, wie sie die Zeit des Krieges von 1939 bis 1945 verbrachte. Als Stella gerade vier Jahre alt war, wurde ihr Vater zur Wehrmacht beordert. Die Tätigkeit ihres Vaters in der Verwaltung barg zunächst wenige Gefahren, und bald wuchs die kleine Familie um zwei weitere Töchter an.

Stella Bruhns erinnert sich in ihrem Buch an eine Szene, die das Leben ihrer Familie grundlegend ändern sollte: „1942, es war ein warmer Maitag. Ich kam aus der Schule nach Hause. Im Schlafzimmer vor dem Spiegel stand Vater. Mutter stellte sich nun neben ihn, nachdem sie mir die Tür geöffnet hatte … Etwas lag in der Luft … Was ich sah, war völlig neu. Vater trug ein Schiffchen auf dem Kopf, wo sonst eine flotte Schirmmütze mit Silberkordel saß ... Die Mutter stand neben ihm und flüsterte: ,Ach wärst du doch in die Partei eingetreten wie Herr Schneider!‘ Ich sah im Spiegel einen Mann mit grauem Gesicht, eine tiefe Falte über der Nasenwurzel, meinen Vater, und eine Frau mit verweinten Augen, meine Mutter. ,Ich trete nicht in die Partei ein!‘“

Die neue Uniform ihres Vaters verhieß, wie befürchtet, nichts Gutes. Stella Bruhns Vater hatte den Befehl erhalten, in Russland an der Front zu kämpfen. Nach einem zunächst regen Briefwechsel, erhielt Stellas Mutter im Januar 1943 jedoch folgende Nachricht: „,Wir haben jetzt das letzte Stück Fleisch der gefallenen Pferde gegessen‘ und ,Ich werde mich von den Russen nicht gefangen nehmen lassen‘. Es war der letzte Brief des Vaters. Danach kam nur noch die Vermisstenmitteilung.“

Auf nur 74 Seiten schildert die Autorin wie sie, ihre Mutter und ihre Schwestern die harten Jahre des Krieges überstanden haben. Kaum noch vorstellbar der Schmerz und die Ängste, welche die Mutter der Autorin damals verspürt haben muss, als sie sich von ihrem Mann, in dem nahezu sicheren Wissen, dass dieser von der Front nicht heimkehren würde, verabschieden musste. Und da es selbst heute noch eine große Herausforderung ist, sich als Frau allein mit drei kleinen Kindern durchzuschlagen, so kann sich auch der jüngere Leser vorstellen, welche Bürde dies zu damaligen Verhältnissen und in Zeiten des Krieges gewesen sein muss. Bedrückend wirkt die Schilderung der Autorin von den letzten Kriegstagen, als auch ihr Elternhaus in Berlin den Luftangriffen zum Opfer fiel. Die Meldung, dass der Krieg vorbei war, scheint auf Bruhns mehr ernüchternd gewirkt zu haben. Die Beschreibung, wie sie mit ihrer Mutter eine leerstehende Wohnung für einen Neuanfang mit noch brauchbaren Gegenständen ihres verbrannten Hauses bestückte, zeugt von der grimmigen Entschlossenheit, die Hoffnung nicht zu verlieren.

„Das Leben nach dem Krieg begann in der leeren Wohnung. Mutter und ich holten die Matratzen von der Straße vor unserem verbrannten Haus. Die waren zwar auch vom Beschuss durchlöchert, aber wir Kinder konnten darauf schlafen, das störte uns nicht … Zu essen gab es kaum etwas. Mutter zeigte uns, welches Kraut wir am Rand des Rasens pflücken sollten. Aus Rauke, Melde und Löwenzahn machte sie Salat.“ V. Ney

Stella Bruhns: „Rauke, Melde und Löwenzahn. Sechs Kinderjahre von 1939 bis 1945“, Haag + Herchen, Hanau 2012, broschiert, 74 Seiten, 14 Euro


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