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10.11.12 / Dichterfürst der Armen / Vor 150 Jahren wurde der Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann im schlesischen Ober Salzbrunn geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-12 vom 10. November 2012

Dichterfürst der Armen
Vor 150 Jahren wurde der Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann im schlesischen Ober Salzbrunn geboren

Viele kennen ihn nur als Autor der „Weber“. Das Drama um die schlesischen Weberaufstände hat Gerhart Hauptmann 1892 schlagartig berühmt gemacht. Dabei hat der am 15. November 1862 geborene Autor neben seinen frühen sozialkritischen Schauspielen ein gigantisches Werk aus Dramen, Romanen und Essays hinterlassen. Als einer der wichtigsten Mahner der wilhelminischen Ära erhielt er 1912 den Nobelpreis.

Durch seine schriftstellerische Tätigkeit in mehr als fünf Jahrzehnten hinterließ Gerhart Hauptmann ein wahres Werksgebirge, das innerhalb der deutschen Literatur nur mit dem Goethes verglichen werden kann. Überaus zahlreich sind die Adaptionen seines dramatischen und erzählerischen Werks für Kino, Rundfunk, Fernsehen und das Musiktheater. Auch gehört er, der vor 150 Jahren als Gerhard Johann Robert Hauptmann im niederschlesischen Kurort Ober Salzbrunn als Sohn des Gastwirts und Hotelbesitzers Robert Hauptmann und dessen Frau Maria geborene Strähler zur Welt kam, zu den am meisten gelesenen Schulbuchautoren. Entsprechend häufig begegnet man seinem Namen, dessen Schreibweise er später zu Gerhart änderte, auf Straßen, Plätzen und Schulen.

Einen Überblick über sein Wirken bieten die Villa Lassen in Berlin-Erkner, das Haus Seedorn auf Hiddensee und das Hohenhaus in Radebeul. Noch weitere Gerhart- Hauptmann-Museen befinden sich in den schlesischen Orten Agnetendorf und Schreiberhau im Riesengebirge. Ein deutsch-polnischer Museumsverbund vernetzt die Aktivitäten aller fünf Häuser, deren Ausstellungen eine hohe Strahlkraft haben und den Tourismus kräftig ankurbeln.

Alle diese Gedenkstätten verbindet der biografische Bezug zum Dichter. In Erkner, wo Hauptmann mit seiner Frau Marie geborene Thienemann 1885 bis 1889 lebte, fällte er die Entscheidung für den Schriftstellerberuf, und hier kamen seine drei Söhne aus erster Ehe zur Welt. Zuvor war er mit dem Versuch gescheitert, in Rom eine Existenz als Bildhauer aufzubauen. Obwohl er in seinem Leben viel und ausdauernd gereist ist, blieb seine Verbundenheit mit den Menschen und Landschaften Schlesiens davon unbenommen. 1891 zog Hauptmann mit seiner Frau, seinem Bruder Carl und dessen Ehefrau nach Schreiberhau im Riesengebirge. Das gemeinsame Haus überließ er 1893 nach der Trennung von seiner Frau dem Bruder. In Agnetendorf bei Hirschberg baute er 1901 das Schlösschen „Villa Wiesenstein“ für sich und seine damalige Lebensgefährtin Margarete geborene Marschalk, mit der er sich nach seiner Scheidung 1904 verehelichte.

Viele Jahre besuchte der Dichter als Urlauber die Ostseeinsel Hiddensee, bevor er 1930 das Haus „Seedorn“ in Kloster erwarb und ausbaute. Bis 1943 verlebte er mit seiner Frau die Sommermonate auf Hiddensee, wo er ebenso wie in Berlin und in seinem schlesischen Rückzugsort die Geselligkeit mit prominenten Gästen und Freunden pflegte.

Gerhart Hauptmanns erstes soziales Drama „Vor Sonnenaufgang“ über Trunksucht, Gewalt und Tod in der neureichen Bürgergesellschaft brachte der Berliner Verein „Freie Bühne“ am 20. Oktober 1889 auf Empfehlung Theodor Fontanes zur Aufführung. In seiner Besprechung des skandalumwitterten Schauspiels lobte Fontane „die Neuheit und Kühnheit der Probleme, die kunstvolle Schlichtheit der Sprache, die Gabe der Charakterisierung“. Das war ein mutiger Vorstoß, da die etablierte Kunstkritik die unverbrämte Schilderung der Lebensverhältnisse der unteren gesellschaftlichen Schichten in Wort und Bild missbilligte. Damit öffneten sich die deutschen Bühnen für die europäische Literaturbewegung des Naturalismus, deren Repräsentanten mutmaßlich der Sozialdemokratie nahestanden.

Kaiser Wilhelm II. war empört über das Drama und kündigte nach der Berliner Premiere seine Loge im Deutschen Theater. Den Durchbruch des jungen Autors konnte er indes nicht verhindern. In den folgenden Jahren verfasste Gerhart Hauptmann „in produktiver Unruhe“ beinahe jährlich ein weiteres Bühnenwerk, darunter die Diebeskomödie „Der Biberpelz“ (1893) und das Drama „Die Weber“ („De Waber“, 1892), in dem der Aufstand der schlesischen Weber von 1844 behandelt wird.

Seine frühen Theaterstücke einschließlich der Komödie „Die Ratten“ aus dem Jahr 1911 werden als zeitlose Klassiker auch im 21. Jahrhundert an deutschen Theatern neu inszeniert. In den teils auf eigener Erfahrung beruhenden, genauen Milieuschilderungen kommt eine skeptische, durch eine Ethik des Mitleidens gemilderte Geschichts- und Menschenauffassung des Autors zum Ausdruck. Um die Jahrhundertwende und bis in die 1920er Jahre stand Hauptmann im Ansehen des größten deutschen Dramatikers.

Seine damals ebenfalls hoch geschätzte Prosaepik gilt heute als deutlich weniger niveauvoll. Seit 1899 wurden ihm zahlreiche Preise und Auszeichnungen verliehen, darunter vier Ehrendoktortitel im In- und Ausland sowie die Friedensklasse des Ordens Pour le Mérite. Den Nobelpreis für Literatur erhielt er 1912 „vornehmlich für seine reiche, vielseitige, hervorragende Wirksamkeit auf dem Gebiete der dramatischen Dichtung“. Thomas Mann nannte Hauptmann in seiner Rede zu dessen 60. Geburtstag 1922 „den Dichter der Armen“.

Dem thematischen Spektrum seiner Bühnenspiele, Novellen, Romane und Versepen wird eine knappe Formel jedoch nicht gerecht. Der Dichterfürst der Weimarer Republik, dessen Schaffen beim Publikum auf immer weniger Interesse stieß, war offen für das Märchen- und Traumhafte; auch ließ er sich durch mythisch-religiöse und historische Stoffe inspirieren.

Entgegen landläufiger Meinung war Gerhart Hauptmann kein politisch engagierter Künstler. Der Autor der „Weber“ wandelte sich vom Vertreter des sozialkritischen Naturalismus zu einem konservativen Neuklassiker, der sich wie einst sein Großvater, welcher einer Weberfamilie entstammte, aus dem eigenen Ursprungsmilieu erhob. Vier Umwälzungen der deutschen Geschichte (1914, 1918, 1933, 1945), die er miterlebte, bewogen ihn jeweils zu wohlwollenden Äußerungen.

Von dem bei der „Machtübernahme“ bereits über 70-Jährigen war in den Jahren der Hitler-Diktatur beileibe kein öffentliches Votum „in tyrannos“ zu erwarten. Kurz vor Kriegsende kehrte das Ehepaar Hauptmann nach Agnetendorf zurück, obwohl russische Truppen bereits in Schlesien einmarschiert waren. Am 7. April 1946 wurde dem greisen Dichter von den Russen mitgeteilt, dass die polnische Regierung auf seiner Ausweisung bestehe. Wegen seiner schweren Erkrankung an Bronchitis entging Gerhart Hauptmann der Vertreibung. Er starb am 6. Juni 1946 in Agnetendorf. Dagmar Jestrzemski


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