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10.11.12 / Er wollte die USA aus dem Krieg heraushalten / Johann Heinrich Graf von Bernstorff vertrat das Reich in Washington 1908 bis 1917 – Vor 150 Jahren kam er in London zur Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-12 vom 10. November 2012

Er wollte die USA aus dem Krieg heraushalten
Johann Heinrich Graf von Bernstorff vertrat das Reich in Washington 1908 bis 1917 – Vor 150 Jahren kam er in London zur Welt

Die Familie des Johann Heinrich Graf von Bernstorff hat zahlreiche Diplomaten und Politiker hervorgebracht. Einige von ihnen stiegen sogar in Ministerämter auf, doch kaum ein Angehöriger des einflussreichen norddeutschen Uradelsgeschlechts dürfte so nah am Puls der Weltgeschichte gewesen sein wie er.

Johann Heinrich von Bernstorff wurde am 14. November 1862 als Sohn des damaligen preußischen Gesandten Albrecht von Bernstorff geboren. Zunächst aktiver Gardeoffizier, trat er 1890, der Familientradition folgend, in den diplomatischen Dienst ein. Nach einer ersten Auslandsverwendung als Attaché in Kairo wurde Bernstorff 1892 Legationssekretär in Belgrad, von wo aus er zwei Jahre später in gleicher Funktion nach Dresden und weiter nach Sankt Petersburg ging. 1898 wurde er als Legationsrat nach München entsandt und 1903 Botschaftsrat in London.

In der britischen Hauptstadt war Bernstorff erstmals mit Angelegenheiten von weltpolitischer Bedeutung befasst. Fest davon überzeugt, dass Spannungen den beiden wettrüstenden Mächten nur schaden könnten, bemühte er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten um einen Ausgleich zwischen Empire und Reich sowie den Abbau der politischen Reibungspunkte. Er hielt nichts von der nach der Entlassung Otto von Bismarcks eingeschlagenen „Politik der freien Hand“. Stattdessen plädierte er für eine vertragliche Bindung des Reiches an Großbritannien, die er für wichtiger und erfolgversprechender als eine Hinwendung zum russischen Zarenreich hielt. Während der Ersten Marokkokrise, die er zunächst noch in London und ab 1906 als Generalkonsul in Konstantinopel erlebte, trug er dazu bei, diese zu entschärfen und so eine Eskalation der Spannungen zwischen Deutschland und Großbritannien zu verhindern.

Doch im Vergleich zu dem, was Bernstorff ab 1908 als deutscher Botschafter in den USA erwartete, waren all diese Bemühungen nur diplomatische Fingerübungen gewesen. Verliefen die Jahre in Washington bis 1914 für ihn noch vergleichsweise ruhig und waren sie mit angenehmer diplomatischer Routine ausgefüllt, machte ihn der Ausbruch des Ersten Weltkrieges unversehens zu einem Akteur der Weltpolitik. Nachdem der Versuch, den Krieg innerhalb weniger Wochen durch einen schnellen raumgreifenden Feldzug zu entscheiden, an der Marne gescheitert war, hielt Bernstorff einen deutschen Sieg für unwahrscheinlich. Nach seiner Überzeugung konnte nur ein Kompromissfrieden den Krieg für das Reich zu einem halbwegs guten Ende bringen. Dementsprechend bestärkte er den US-Präsidenten Woodrow Wilson, der ihn sehr schätzte, in dessen Vermittlungspolitik.

Bernstorff gab sich hinsichtlich des militärischen Potenzials der USA keinerlei Illusionen hin. Sollte sich das Land auf die Seite der Entente schlagen, sah er eine baldige deutsche Niederlage voraus. In eindringlichen Berichten nach Berlin warnte er davor, die mächtige Nation unnötig zu provozieren. So setzte er alles daran, die USA aus dem Krieg herauszuhalten. Doch als sein größter „Gegner“ in dieser Sache erwies sich die eigene Regierung. Zu einer schweren Krise zwischen Washington und Berlin kam es im Februar 1915, als Deutschland als Reaktion auf die britische Seeblockade den uneingeschränkten U-Boot-Krieg erklärte und damit zur warnungslosen Versenkung von Passagierschiffen überging. Nach Bernstorffs Überzeugung war dies der Beginn eines gefährlichen Vabanquespiels, das schnell einen für das Reich fatalen Ausgang nehmen konnte. Sollten US-Staatsbürger bei einem Untergang ums Leben kommen, könnte sich die öffentliche Meinung in den USA schnell gegen Deutschland wenden und Wilson zu einem Kriegseintritt auf Seiten der Entente drängen, so seine Befürchtung. In seinen Depeschen nach Berlin warnte er inständig und flehte geradezu, diesen Schritt zu überdenken. Eindringlich beschrieb er dessen mögliche Folgen, die später dann auch tatsächlich eintreten sollten. Vergeblich. In Washington wiederum warb er um Verständnis für die deutsche Position und beschwichtigte – zunächst mit Erfolg. Dabei kam ihm sein hohes Ansehen in den US-amerikanischen Regierungskreisen zugute. In mehr als 50 Zeitungen warnte Bernstorff mit Hinweis auf die U-Boot-Gefahr vor der Passage über den Atlantik und wandte sich in Zeitungsanzeigen sogar an die Passagiere einzelner Schiffe, um sie von der Reise abzubringen. Von ihm vorausgesagte Zwischenfälle wie die Versenkung der „Lusitania“ und der „Arabic“ 1915 sowie der „Sussex“ im Folgejahr erforderten sein höchstes diplomatisches Geschick, um eine gravierende Verschlechterung der deutsch-amerikanischen Beziehungen zu verhindern. Immerhin ließ sich die Reichsleitung überzeugen, den uneingeschränkten U-Boot-Krieg vorerst zu beenden.

Als deutsche Agenten und Saboteure in den USA enttarnt wurden und herauskam, dass Mitarbeiter der deutschen Botschaft mit ihnen zusammenarbeiteten, standen die USA erneut an der Schwelle zum Kriegseintritt. Wieder war es Bernstorff, der die Gemüter in Washington beruhigen konnte. Mit der Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges im Februar 1917 wurden die USA jedoch endgültig in die Arme von Deutschlands Feinden getrieben. Es half nichts, dass Bernstorff seine Regierung inständig bekniete, auf die warnungslose Torpedierung von Handelsschiffen zu verzichten. In Berlin wurden seine zahlreichen Depeschen nur noch als lästig empfunden, denn hier war man nach den durchaus nicht ganz unrealistischen Berechnungen der Marine davon überzeugt, dass die deutschen U-Boote England wirtschaftlich substanziell schädigen und so in absehbarer Zeit zu einem Friedensschluss zwingen könnten. Resigniert musste Bernstorff einsehen, dass, wenn der militärische Erfolg winkt, politische Vernunft kein Gehör mehr findet.

Doch Wilson zögerte noch mit dem Kriegseintritt. Erst als ein von den Briten abgefangenes Telegramm des Auswärtigen Amtes mit Gedanken zu einer gemeinsamen Kriegführung mit Mexiko gegen die USA bekannt wurde, die sogenannte Zimmermann-Depesche, war auch für ihn die rote Linie endgültig überschritten. Damit war Bernstorff gegenüber Wilson ungeachtet der persönlichen Wertschätzung, die man ihm als Gentleman und Diplomaten alter Schule entgegenbrachte, mit seinen Argumenten am Ende. Am 6. April 1917 erklärten die USA Deutschland den Krieg. Bernstorffs Mission war gescheitert, das Verhängnis nahm seinen Lauf und er musste nach Deutschland zurückkehren.

In Berlin verübelte man Bernstorff seine Bemühungen um einen Verständigungsfrieden. Von der Obersten Heeresleitung und deutsch­nationalen Kreisen als „Demokrat“ kritisiert, wurde er auf den Botschafterposten nach Konstantinopel abgeschoben. Hier wurde er mit den Folgen des türkischen Genozids an den Armeniern konfrontiert. Doch während sein Amtsvorgänger auf einen mäßigenden Einfluss der deutschen Regierung in der Armenier-Frage hingewirkt hatte, blieb Bernstorff weitgehend passiv, als es 1918 erneut zu Pogromen kam. Dafür setzte er sich bei der türkischen Regierung intensiv für die Schaffung einer „Heimstätte“ für auswanderungswillige europäische Juden in Palästina ein. Seinem diplomatischen Geschick und dem Engagement des Generals Erich von Falkenhayn, der zugleich türkischer Marschall war, ist es zu verdanken, dass die türkische Regierung ihren Plan zur Zwangsumsiedlung und Ausrottung der als politisch unzuverlässig eingestuften Juden Palästinas aufgab.

Den Untergang des Kaiserreiches vor Augen, unterstützte Bernstorff im November 1918 den neu ernannten Reichskanzler Prinz Max von Baden in dessen Bemühungen um einen Ausgleich mit den revolutionären Kräften. Obwohl es den gemäßigten Liberalen reizte, daran mitzuwirken, die Zukunft Deutschlands in parlamentarische Bahnen zu lenken, lehnte Bernstorff nach Kriegsende das Angebot, Außenminister im Kabinett Ebert zu werden, ab und schied aus dem diplomatischen Dienst.

Auch im Ruhestand widmete Bernstorff sich leidenschaftlich der Völkerverständigung. Seit 1922 Präsident der Deutschen Liga für den Völkerbund, setzte er sich gegen alle Widerstände für den Eintritt Deutschlands in die von vielen seiner Landsleute als Schöpfung der Entente abgelehnte Staatengemeinschaft ein. Ab 1926 vertrat er das Reich bei Abrüstungskonferenzen und gehörte den deutschen Völkerbund-Delegationen an. Zudem war er von 1921 bis 1928 Reichstagsabgeordneter der Deutschen Demokratischen Partei. In düsterer Ahnung, was auf Deutschland zukommen würde, siedelte er 1933 nach Genf über, wo er am 6. Oktober 1939 starb. Jan Heitmann


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