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10.11.12 / Segen und Fluch zugleich / Wie die Liebe einen manchmal da

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-12 vom 10. November 2012

Segen und Fluch zugleich
Wie die Liebe einen manchmal davon abhält, das Richtige zu tun

„Wenn ich Sie liebte, würde ich Ihnen die Wahrheit sagen“ heißt der Titel der zehn melancholischen Kurzgeschichten der Kanadierin Robin Black. Alle widmen sich dem Thema Liebe, jedoch jede auf eine ganz besondere Art und Weise. Sie schreibt nicht von den Anfängen voller Romantik, sondern davon, was von der Liebe bleibt, wenn die Schmetterlinge im Bauch nicht mehr da sind. Die Autorin hat ein feines Gespür für das Innerste der Menschen und für deren Gedanken. Sie hat die Gabe, Worte dafür zu finden, Worte, die womöglich so nie ausgesprochen werden. Denn gerade wenn man jemanden liebt, fällt es einem schwer, die Wahrheit zu sagen, nicht nur, weil sie doch für den Gegenüber schmerzhaft wäre, sondern vor allem einem selber wehtun würde. Zu gern verdrängen wir daher das Offensichtliche und wollen es nicht wahr haben.

Auch der Protagonist der ersten Geschichte, Jack, will das wahre Leben nicht sehen. Er ist blind vor Liebe zu seiner Tochter Lila. So blind, dass er ihr Bedürfnis nach Freiheit und Selbstständigkeit nicht sieht. Seine seit dem sechsten Lebensjahr durch einen Unfall erblindete Tochter besitzt trotz ihrer Behinderung die Fähigkeit, in den Vater hineinzuschauen. Sie weiß seit Langem, dass er unglücklich ist. Er bleibt nur Lila zuliebe mit seiner tiefdepressiven Ehefrau zusammen, um die Illusion der heilen liebevollen Familie aufrechtzuerhalten und um seine Tochter glücklich zu wissen.

Einen Neuanfang kann es für die Hauptfigur einer anderen Geschichte nicht mehr geben. Sie leidet an Krebs und erwartet bereits ihren Tod. Immer mehr grenzt sich die Frau ab, immer mehr versinkt sie in einer anderen Welt. Als ihre Nachbarn einen hohen Zaun bauen, nimmt er ihr endgültig die Luft zum Atmen weg. Sie sagt nichts, zu intim, zu schmerzvoll wäre es für sie, über ihre Krankheit zu sprechen.

So sind alle Erzählungen von Robin Black: still und doch so berührend. Sie handeln von der Liebe zu Kindern, Geschwistern oder Eheleuten und wie Schicksalsschläge die Liebe verändern, zerstören oder sie noch stärker machen.

Robin Black hat insgesamt acht Jahre an den Geschichten gefeilt, so überrascht es nicht, dass sie literarisch ausgereift sind. Black ist eine gute Erzählerin, ihre Sprache ist poetisch, aber zugleich klar und gut verständlich. Ihre Herangehensweise an die Figuren schafft eine beeindruckende Tiefe, es ist selten, die menschlichen Charaktere mit all ihren Zweifeln und Schmerzen so treffend beschrieben vorzufinden. Und trotzdem vermisst man das Leichte und Schöne der Liebe. Immer wieder leben die Menschen die Enttäuschungen des Lebens, sie werden in ihren Grundmauern erschüttert, leiden und betrauern das, was war. Aber es ist nicht die Akzeptanz des Schicksals, die uns weitermachen lässt. Es ist die Hoffnung auf ein besseres und glücklicheres Leben.

Obwohl den Geschichten also das berühmte Licht am Ende des Tunnels fehlt, sind sie so wunderbar zu lesen, dass jeder anspruchsvolle Leser an dem Buch seine Freude haben wird. Anna Gaul

Robin Black: „Wenn ich Sie liebte, würde ich Ihnen die Wahrheit sagen“, Luchterhand, München 2012, gebunden, 320 Seiten, 19,99 Euro


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