29.03.2024

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17.11.12 / Mit zweierlei Maß

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-12 vom 17. November 2012

Moment mal!
Mit zweierlei Maß
von Klaus Rainer Röhl

Der Film „Deckname Luna“ hat Deutschland tief aufgewühlt und zugleich gutgetan. Die meisten Kritiker haben wenig an ihm auszusetzen. Die „Bild“-Zeitung versteigt sich sogar dazu, die von jedem Star-Klischee abweichende Hauptdarstellerin mit dem Mondgesicht, Anna Maria Mühe, als „Das Gesicht des neuen deutschen Films“ auszurufen. Deutsch stimmt. Tatsächlich ist das Thema Stasi ein deutsches Thema, der Stasi ein deutsches Phänomen. Einen so alle Bereiche des Lebens durchdringenden, bürokratischen, aber immer auch ein wenig lächerlichen Geheimdienst gab es nirgends auf der Welt. Doch der Publikumserfolg des Films über eine junge Frau, die vom Stasi durch die Verhaftung ihres Zwillingsbruders zur Spionage erpresst wird, hat noch andere Ursachen. Insofern ist er zu vergleichen mit den unzähligen Filmen über die Verbrechen des NS-Staates von „Ich war Hitlers Kammerdiener“ bis zu „Rommel“ und den neuen Dokumentationen über Rudolf Heß, Heinrich George, Heinz Rühmann oder Kristina Söderbaum und ihren Mann Veit Harlan, über die Flucht und Vertreibung der Ostpreußen und Schlesier. Die Darstellungen der NS-Verbrechen und ihrer Helfer oder Mitläufer finden ein auch rund 70 Jahre nach Kriegs-ende nicht abnehmendes Interesse. Und dies auch bei der nachgewachsenen Generation, die ja nur die Klischees der Re-Education-Zeit auswendig lernte. Gerade die Filme des auf die NS-Zeit geradezu dauerabonnierten Guido Knopp stillen oft ein heimliches Bedürfnis des Publikums nach Einzelheiten aus der „Vergangenheit“, in der die Menschen nicht nur an Aufmärschen und Judenverfolgungen teilnahmen, sondern in der auch gelitten, gelebt und geliebt wurde. Jede realistische Schilderung der Zeit, die von den seit 1945 üblichen alliierten Propaganda-Schablonen abweicht, wird begierig aufgesogen. Wiedererkennungs-Momente bei den Alten, Neugier bei den Jungen, die die Szenen aus der NS-Zeit wie eine Zeitreise in die Vergangenheit ansehen – so war es damals. Aha.

Eine ähnliche Entwicklung beobachten wir seit einigen Jahren bei Filmen über die DDR-Vergangenheit. Es begann mit dem großartigen Film „Das Leben der Anderen“, der sogar einen Oscar für Deutschland gewann. Und wir erfahren nicht ohne eine gewisse Rührung, dass sein zu früh verstorbener Hauptdarsteller Ulrich Mühe der Vater des neuen deutschen Stars Anna Maria ist. Vergangenheitsbewältigung in der zweiten Generation.

Nur in einem Punkt endet der Vergleich: Die NS-Zeit ist durch drakonische Sanktionen, von denen die Todesstrafe durch Erhängen nur die schärfste war, aufgearbeitet und tausendmal abgebüßt, wird in jeder Schule behandelt und durch Klassenfahrten nach Dachau oder Auschwitz ständig im Bewusstsein erhalten. Die Herrschaft der Statthalter Stalins in Deutschland wurde hingegen kaum geahndet, sie wird in Schulen oft nur oberflächlich behandelt, an keinem Gedenktag gewürdigt. Durch Deutschland geht ein tiefer Riss.

Erst 2007, genau 17 Jahre nach dem Fall der Mauer, wurde bekannt, dass die ehemaligen Opfer des DDR-Willkürsystems, die mindestens sechs Monate im Stasi-Knast gesessen haben, eine „Opferrente“ bekommen. Das monatlich zahlbare Geld sollte also den manchmal jahrzehntelangen Arrest in Stasi-Gefängnissen wie Torgau oder Bautzen wenigstens symbolisch wiedergutmachen. Schlecht ist, dass diese Pension ganze 250 Euro beträgt. Grottenschlecht ist, dass es selbst diese Mini-Wiedergutmachung nur dann gibt, wenn die Opfer als Alleinstehende zurzeit an der Armutsgrenze leben. Die Opfer-Rente ist keine Ehrenrente, sondern ein Almosen für Arbeitslose, Invaliden und Sozialhilfeempfänger unter den Stasi-Opfern. Der reine Hohn.

Für einen anderen Personenkreis sind die Renten zu allen Zeiten gesichert. Für die Stasi-Mitarbeiter und andere frühere Parteifunktionäre der DDR. Bund und Länder mussten im Jahr 2006 schon 4,1 Milliarden Euro an ehemalige Beschäftigte des SED-Staates zahlen. Noch bestehende Rentenkürzungen für besondes belastete Diener des Regimes wurden 2005, zur großen Genugtuung der gut organisierten Stasi-Funktionäre, aufgehoben. Auch sie erhielten nun ihre volle, an der DDR-Durchschnittsrente orientierte Rente für die Mühe, die sie sich jahrzehntelang als „Schild und Schwert der Partei“ gemacht haben: Einschüchterung, Bespitzelung und Bedrohung der Einwohner des hermetisch abgesperrten Staates, Vernichtung ganzer Familien und Existenzen. Bis zu Mord und Totschlag und verdeckten Aktionen, deren Opfer längst tot oder unheilbar invalide sind, körperliche und seelische Krüppel. Mittlerweile nehmen sie allerdings nicht mehr an jeder Rentenerhöhung teil.

Der Spielfilm „Das Leben der Anderen“ behandelte einen vergleichsweise harmlosen Fall. Die Wirklichkeit war weit düsterer. Doch die Stasi-Opfer sind unbeliebt, ihre Forderungen unpopulär. Die hauptamtlichen 91015 Stasi-Mitarbeiter und ihre Zuarbeiter, die ungefähr 189000 Innoffiziellen Mitarbeiter, also rund 280000 DDR-Bürger, werden in die gedankenlose Ostalgie einbezogen, die wehmütige Sehnsucht vieler Bewohner nach dem wirtschaftlich erfolglosen und frustrierenden, aber ruhigen und sogar gemütlichen Leben „früher“. Langsam wird es zu so etwas wie die „gute alte Zeit“.

Über 20 Jahre nach dem Fall der Mauer leben und fühlen noch immer viele Bürger der neuen Bundesländer anders als die übrigen Deutschen. Auf die einst 100-prozentige Versorgung mit Krippen und Kitas sind alle stolz. Flächendeckend wurden die Babys in Gruppen von 30 bis 40 verwahrt und erzogen: Zu einem bestimmten Zeitpunkt „aufgetöpft“, gefüttert, schlafen gelegt und geweckt. Indoktrination begann früh. Kollektive Verwahrung. Gelegentlich auch kollektive Verwahrlosung.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass in den neuen Ländern auffällig viele Menschen antidemokratische Parteien wählen, die von Verfassungsschutzämtern beobachtet werden wie „Die Linke“ und die NPD, auffällig viel Bereitschaft zu roher körperlicher Gewalt auf Straßen und Fußballplätzen herrscht.

Äußerste Wachsamkeit bricht jedes Mal aus, wenn die NPD ein paar Wähler gewinnt, auf örtlicher Ebene Erfolge hat. Oder gar eine Terror-Zelle sich bildet, die wie die RAF Morde begeht. Da wird noch mehr Geschichtsunterricht über NS-Untaten gefordert, noch mehr NS-Gedenkstätten, NS-Gedenktage. Doch wo ist die Aufklärung und der Geschichtsunterricht über Stalin und seine treueste Stütze: das SED-Regime, über die DDR? Fehlanzeige.

Das Sowjetsystem mit Maos China und Pol Pots Kambodscha stellte weltgeschichtlich eine Einheit dar, in der die DDR ein integraler und sogar besonders gut funktionierender Bestandteil war. Das System war mörderisch. Es brachte, laut „Schwarzbuch des Kommunismus“, rund 100 Millionen Menschen den Tod, dem Rest oft Elend.

Es ist leider immer noch so, wie Tucholsky einmal schrieb: „Und durch Deutschland geht ein tiefer Riss, dafür gibt es keinen Kompromiss.“


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