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17.11.12 / Virtuelle Trauerarbeit / Fortsetzung der Geschichte der Familie Delpe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-12 vom 17. November 2012

Virtuelle Trauerarbeit
Fortsetzung der Geschichte der Familie Delpe

Gerade läuft in den deutschen Kinos unter dem Titel „Am Ende eines viel zu kurzen Tages“ die Verfilmung von Anthony McCartens 2007 erschienenem Roman „Superhero“. Nun kommt mit „Ganz normale Helden“ die Fortsetzung der Geschichte der Familie Delpe in die Bücherregale. Donald Delpe, der jüngste Sohn der britischen Familie und künstlerisches Genie, ist gerade an Krebs gestorben. Eltern und Geschwister trauern jeder auf seine Weise. Mutter Renata sucht im Internet Trost. Sie pflegt weiterhin den Facebook-Account von Donald und bittet einen virtuellen Beichtvater um die Vergebung all ihrer Sünden. Jim, ihr Mann, redet kaum mit ihr und verurteilt ihr Suhlen im Leid. Er möchte aufs Land ziehen und vergräbt sich in den Renovierungsarbeiten eines Häuschens, das er gekauft hat. Sohn Jeffrey, der inzwischen 18 Jahre alt ist, sendet dem toten Bruder SMS auf dessen Handy, das er mit in den Sarg gelegt hat. Er flüchtet sich in das Online-Rollenspiel Life of Lore, in dem man in einer Phantasiewelt aus endlosen Wüsten, düsteren Gebirgen und Städten den Gegner töten muss. Erwischt es einen selbst, so kann man sich im Reinkarnationszentrum wiederbeleben lassen.

Eines Tages verschwindet der Junge, ohne den Eltern eine Nachricht zu hinterlassen. Sein Vater erfährt durch Zufall den Nick-name seines Sohnes in Life of Lore und macht sich in der künstlichen Welt als Avatar auf die Suche nach ihm. Während er sich Level für Level weiterkämpft und ab und zu mit „Merchant of Menace“ – so heißt Jeffreys Figur – chattet, zieht ihn das Spiel immer mehr in den Bann. Nächtelang sitzt Jim vor dem Computer, vernachlässigt seine Frau und riskiert seinen Job in der Anwaltskanzlei. Als er seinen Sohn schließlich findet, nimmt eine Reihe schicksalhafter Ereignisse ihren Lauf.

Mit viel Tiefsinn und Einfühlungsvermögen, aber auch gelegentlich liebevollem Augenzwinkern porträtiert der neuseeländische Erfolgsautor seine Protagonisten. Eindrücklich schildert er ihre Unfähigkeit, sich auf Verlust, Schmerz, Angst und Wut einzulassen und miteinander zu kommunizieren. McCarten gelingt es, schwierige Themen wie den Generationenkonflikt, den Umgang mit dem Tod eines nahen Angehörigen und die Suche nach der eigenen Identität anschaulich zu erzählen. Beiläufig streut er philosophische Lebensweisheiten ein: „Geschichten sind die Landkarten für die Erziehung des Herzens. Sie warnen uns, sie locken und sie führen, beflügeln, tadeln. Sie sind großartige Ratgeber.“

Nur manchmal erhebt der Autor den moralischen Zeigefinger, etwa wenn es um die Gefahren des Internets geht. Die Folgen des zwanghaften Drangs, im Netz zu surfen, zu chatten und zu spielen, spüren Renata, Jim und Jeff am eigenen Leib von Schlafstörungen und Nervosität über Kontroll- und Realitätsverlust bis hin zu sozialer Isolation und beruflichem Abstieg. Die Online-Sucht, Ausführungen zu PC-Spielen, Computer-Abkürzungen und ausufernde Chatnachrichten in rechtschreibfreier Zone überlagern bisweilen die Handlung. Dennoch eine unterhaltsame Lektüre. Sophia E. Gerber

Anthony McCarten: „Ganz normale Helden“, Diogenes, Zürich 2012, geb., 455 Seiten, 22,90 Euro


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