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17.11.12 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-12 vom 17. November 2012

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Unentbehrlich / Wie man wählergerecht sülzt, wie Peer Steinbrück sein soziales Gewissen fand, und wie EU-Beihilfen dauerhaft Wohlstand schaffen

Das wäre aber auch zu schade gewesen. Fast wäre uns Claudia Roth in den Schmollwinkel entwischt. Was war das für eine Gemeinheit, dass sie so abgebügelt wurde beim Mitgliederentscheid über die Spitzenkandidaten der Grünen zur nächsten Bundestagswahl!

Dabei hatte sich Roth derart gründlich nach wirklich allen Seiten verbeugt: „Ich möchte sprechen über Vielfalt, über Inklusion, über gleiche Rechte, über tote Flüchtlinge im Mittelmeer, über deutsche Panzer nach Saudi-Arabien, über Kommunen am Abgrund, über ein striktes Rauchverbot.“ So sprach sie. Woher dann die Niederlage?

Sie hat etwas vergessen, und schlimmer noch: Über fleischlose Ernährung sagte Roth nicht nur nichts, sie sagte – unter den stechenden Blicken der für ihre Toleranz berühmten militanten Vegetarier – stattdessen: „Aber ich will hier nicht rumsülzen, ich mag auch ein lecker Würstel oder Schnitzel.“

Würstel? Schnitzel?? Sicher, man sieht der drallen Claudia schon an, dass sie sich nicht allein mit Löwenzahn und Sojabouletten durch den Tag quält. Aber musste sie das den sensiblen Mümmelmännern in ihrer Partei so taktlos um die Öhrchen hauen? Nein, und dafür bekam sie die Quittung. Das ist wirklich bedauerlich, denn bevor sie auf dem Würstel ausrutschte, hat Roth noch eindrucksvoll bewiesen, wie fulminant sie rumsülzen kann! Rauchverbot und tote Flüchtlinge in einem Satz, dazu noch deutsche Panzer und was nicht alles – die Zutaten in Roths Rede waren wahrhaft von „Vielfalt“ geprägt, und genau das macht eine schmackhafte Sülze ja aus.

Wobei man sich mit dem Rezept durchaus vertun kann. Nicht jede Geschmacksrichtung passt auch zu jeder Gelegenheit. Zum „Bürgerdialog“ mit Peer Steinbrück lockt die SPD mit dem Versprechen, mit den Menschen ganz offen über „Gerechtigkeit“ reden zu wollen. In der Einladung umschleimen die Sozialdemokraten ihr Zielpublikum mit den herrlich anbiedernden Worten: „Die meisten Menschen haben ein sicheres Gespür dafür, wenn etwas gerecht oder zutiefst ungerecht ist.“

Der Text ist offenbar noch vor der Sache mit dem Bochumer Honorar gedichtet worden. Heute dürfte er Steinbrück eher peinlich sein. Wir wollen hoffen, dass sich die Sozialdemokraten ihre Dialogbürger sorgsam aussuchen. Verruchte Hetzer könnten den „Dialog“ sonst mit der Frage verpesten, was denn „gerecht“ daran sein solle, wenn ein Politiker von staatlichen Stadtwerken für ein Plauderstündchen so viel Geld bekommt wie die von den SPD so gern bedauerte Krankenschwester im ganzen Jahr nicht?

Gut, gut, das ist wirklich schwer zu beantworten. Aber irgendwann muss auch mal Schluss sein mit dem Herumgereite auf den astronomischen Rede-Honoraren des SPD-Kanzlerkandidaten. Steinbrück will die 25000 Euro von den Bochumer Stadtwerken schließlich spenden, jetzt, wo die Sache an die Öffentlichkeit gelangt ist. Rührend, wie rasch den Genossen das soziale Gewissen übermannt hat, nachdem man ihn erwischt hatte. Es erinnert an den jugendlichen Ladendieb, der die Einhaltung der Gesetze im Handumdrehen zu seiner Herzensangelegenheit erklärt, nachdem ihm an der Kasse der Schokoriegel aus der Jacke gerutscht ist.

Aber mal grundsätzlich: Was soll der ständige Zank um den Zaster? Geld ist genug da, es haben nur die falschen, hat IG-Metall-Chef Berthold Huber entdeckt. Zwar hat die öffentliche Hand noch nie so viel an Steuern und Abgaben eingenommen wie 2012, reichen tut es aber immer noch nicht, findet Huber: Die „Einnahmenseite“ in den öffentlichen Haushalten müsse daher „unbedingt erhöht werden“, schreibt er.

Huber wünscht sich eine „Investitionspolitik mit Staatsausgaben“, die er gern auch „ökologische Industriepolitik“ nennt. Mit anderen Worten: Der Staat soll planen, welcher Wirtschaftszweig mit wie viel Geld zu versorgen ist und vorgeben, in welche technologische Richtung sich die deutsche Volkswirtschaft entwickelt. Kommt einem irgendwie bekannt vor, selbst wenn man nicht in der DDR aufgewachsen ist.

Halt, Stopp! Nicht ungerecht werden: Mit DDR-Planwirtschaft hat das nur zum Teil zu tun. Dort waren, wie wir wissen, am Ende fast alle „gleich arm“, selbst die SED-Bonzensiedlung Wandlitzsee fanden Angehörige der gutsituierten Mittelschicht Westdeutschlands zum Weglaufen. Den Fehler will Huber nicht wiederholen: Von der „ökologischen Industriepolitik“ sind schon jetzt etliche Leute märchenhaft reich geworden, „gleich arm“ werden dabei nur die übrigen 99 Prozent. Unser nächster Sozialismus wird also keinesfalls so grau und trist wie der letzte. Einige können es da richtig krachen lassen, und das auch noch ganz öffentlich und nicht verschämt hinter Mauern und Wachtürmen wie in dem Ghetto der Oberkommunisten. Schließlich ist das Gewissen rein, wenn man seine Millionen mit der Rettung des Klimas verdient hat.

Berthold Huber will mit neuen Konjunkturprogrammen und Steuererhöhungen vor allem die kommende Wirtschaftskrise überbrücken. Dass die kommt, bestätigen mittlerweile alle Experten. Vor allem die ohnehin gebeutelten Südeuropäer könnte es noch einmal hart treffen.

Deshalb werden Politiker von Jürgen Trittin bis Sigmar Gabriel nicht müde, mehr Wachstumsimpulse für den Süden zu fordern. Nicht immer nur sparen, ist die Devise, es müsse auch investiert werden: Der Staat, in diesem Falle die EU, müsse sich endlich stärker engagieren bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. Das will auch Huber. Neben der „ökologischen Industriepolitik“ fordern SPD und Grüne, die EU solle viel mehr Geld in die Entwicklung der Infrastruktur der Euro-Krisenländer investieren, um so die Länder zu entwickeln und die Konjunktur anzukurbeln.

Da gibt es in der Tat noch viel zu tun. In Spanien, so erfahren wir, soll es noch immer Orte mit annähernd elftausend Einwohnern geben, die nicht einmal über einen internationalen Flughafen verfügen. Damit nicht genug: Selbst bereits fertige EU-Projekte werden plump vernachlässigt.

So vergammelt nahe Valencia seit Jahren ein EU-geförderter Flughafen, von dem noch nie jemand gestartet ist. Fadenscheinige Erklärung: Es sei gar kein Markt für Passagiere da, weil der nächste internationale Flughafen nur 50 Kilometer entfernt liege.

Da haben wir’s wieder: Die brutale Macht der „Märkte“ wird eiskalt über die Belange der Bürger gestellt. Wenn den Flugplatz keiner ansteuern will, dann ballern wir Ryanair und Konsorten eben solange mit EU-Förder-Euros zu, bis die gar nicht mehr anders können, als dorthin zu fliegen! Wenn trotzdem kein einziger Passagier auftaucht? Egal: Wir hätten immerhin Arbeitsplätze geschaffen und „Politik im Interesse der Menschen statt der Märkte“ durchgesetzt. So funktioniert EU-Förderpolitik schon seit Jahrzehnten, also warum vom erfolgreichen Pfad abweichen, gerade jetzt in der Krise?

Die EU richtet ihre Wohltaten nicht allein auf ihre Mitglieder. Außerhalb der Union ist Kosovo der größte Empfänger von Brüsseler Hilfen. Von 1999 bis 2007 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor) flossen rund 2,7 Milliarden Euro in den Staat von der Einwohnerzahl Hamburgs. Vorangekommen ist das Land zwar nicht. Aber wieso auch: Mit den Hilfen wurde eine neue, gehobene Gesellschaftsschicht herausgebildet, deren Geschäft allein darin besteht, die EU-Hilfen teilweise weiterzuleiten und teilweise ... ja, was? Nein, dazu wollen wir uns im Interesse des völkerverbindenden Miteinanders und „im Zeichen gegenseitigen Respekts“ nicht äußern. Sonst nehmen böse Federn ein paar (tausend) korrupte Einzelfälle zum Anlass, negative Verallgemeinerungen anzustellen. Jene Gesellschaftsschicht hat jedenfalls keinerlei Interesse, an der Hilfsbedürftigkeit ihres Landes irgendetwas zu ändern, sonst bräche ja ihr Geschäftsmodell zusammen. Das Resultat feiert Brüssel als „dauerhaftes Engagement“. Darauf ist man dort sehr stolz, beweist es doch, „wie unentbehrlich Europa im täglichen Leben der Menschen geworden ist“.


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