19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
24.11.12 / Am Anfang war Gekritzel / Zeichnungen des Papstmalers Raffael im Frankfurter Städel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-12 vom 24. November 2012

Am Anfang war Gekritzel
Zeichnungen des Papstmalers Raffael im Frankfurter Städel

Auch die größten Meister fangen klein an. Nämlich mit spontanen Ideenskizzen, auf die Kompositionsentwürfe, Einzelstudien und Reinzeichnungen als Stationen zum Meisterwerk folgen. Wie Raffael (1483–1520) – einer der herausragenden Künstler und Papstmaler der italienischen Renaissance – mit Feder und Stift, Kreide und Pinsel seine bis heute gefeierten Tafelbilder und Wandmalereien vorbereitete, zeigt bis zum 3. Februar 2013 eine packende Schau im Frankfurter Städel Museum anhand von 48 Zeichnungen.

Das Institut besitzt mit elf Arbeiten die umfangreichste und bedeutendste Gruppe von Zeichnungen Raffaels in Deutschland. Die anderen Blätter sind Leihgaben aus ganz Europa und aus Nordamerika.

Gleich zu Anfang steht der Besucher vor einer unscheinbar wirkenden Kritzelei mit dem Titel „Madonna mit Kind in einer Gloriole“ (um 1511/12). Der Meister hat aus dem Handgelenk mit Kohle einige bogenförmige Linien aufs Papier gesetzt. Ausstellungskurator Joachim Jacoby erklärt: „Die Ideenfindung erfolgt bei Raffael während des Skizzierens. Die Frankfurter Zeichnung ist ein äußerst seltenes Zeugnis für die erste Phase der Bilderzeugung.“

Und so unscheinbar das Blatt auch aussieht: Es steht in Zusammenhang mit einem der populärsten Gemälde Raffaels überhaupt – mit Dresdens „Sixtinischer Madonna“, vor 500 Jahren im Auftrag von Papst Julius II. gemalt.

Julius II. hatte Raffael 1508 nach Rom berufen und ihn mit der Ausführung einer Wandmalerei in der Stanza della Segnatura, die seine Bibliothek aufnehmen sollte, beauftragt. Dieses Fresko im Vatikanischen Palast fiel so trefflich aus, dass weitere Aufträge folgten. Für Julius II. und dessen Nachfolger Leo X. malte Raffael insgesamt drei „Stanzen“ genannte Privatgemächer aus. Besonders berühmt sind die dort geschaffenen Fresken „Die Schule von Athen“, der Philosophie gewidmet, und die „Disputa“, welche die Theologie feiert.

Die Frankfurter Ausstellung fesselt mit Einzelblättern wie der aus Boston entliehenen „Papstprozession“ (um 1520). Ihre Ausführung mit farbigen Kreiden ist, von einer Porträtaufnahme abgesehen, einzigartig unter den erhaltenen Zeichnungen Raffaels. Hervorzuheben ist auch die Gruppe von Zeichnungen (um 1510–1514), welche die von Raffael niemals vollendete Ausschmückung der Chigi-Kapelle in Roms Kirche Santa Maria della Pace vorbereiteten.

Der Höhepunkt aber sind die Studienblätter (um 1508/09) für die „Disputa“. Auf dem mit Stift und Pinsel weit ausgearbeiteten Entwurf aus der Sammlung der Königin von England sind im Scheitel der Darstellung Gottvater und unter ihm Christus in einer kreisförmigen Gloriole schemenhaft erkennbar. Auf sie weist eine Figur, die links unten steht. Ihr folgt nach rechts ein Kreis von Gelehrten, die durch Blicke, Gesten und Körperhaltungen zueinander in Beziehung gesetzt sind.

Damit führt das Studienblatt beispielhaft den von Raffael immer wieder zeichnerisch geschaffenen Zusammenklang von bewegter Interaktion, Gefühlsausdruck und Harmonie in der Gestaltung von Figuren und Komposition vor Augen, welcher nach den Worten von Kurator Jacoby vorbildlich für die europäische Historienmalerei bis zur Moderne wurde.

Am erstaunlichsten aber ist der mit Stift und Feder ausgearbeitete Entwurf für die Disputa aus dem Besitz des Städel Museums. Er zeigt nichts als nackte junge Männer, mit denen Raffael die Abbildung anatomisch glaubhafter Bewegungsabläufe und Haltungen sicherstellen wollte. Im weiteren Verlauf der systematischen Gemäldevorbereitung alterte das Bildpersonal und wurde sittsam als Theologen und Kirchenväter „eingekleidet“. Veit-Mario Thiede


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren