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24.11.12 / Nebenan anders als hier / Anthropologe untersucht Regionalcharaktere

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-12 vom 24. November 2012

Nebenan anders als hier
Anthropologe untersucht Regionalcharaktere

„Wenn der Däne verliert die Grütze, der Franzose seinen Wein, der Schwabe die Suppen und der Bayer das Bier – so sind sie verloren alle vier“, so spottet der Volksmund über nationale beziehungsweise regionale Stereotypen.

Dass vielen dieser landläufigen Klischees tatsächliche Verhaltensunterschiede zugrunde liegen, zeigt der Historiker und Anthropologe Andreas Vonderach in seinem Buch „Die deutschen Regionalcharaktere“. Zudem wertet er Dokumente aus dem Mittelalter und über 300 Regionalcharakter-Beschreibungen deutscher Schriftsteller aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert aus, zum Beispiel von Theodor Fontane, Gustav Freytag und Wilhelm Heinrich Riehl. Die Klischees vom kühlen Norddeutschen über den unfreundlichen Berliner und den gemütlichen Sachsen bis hin zum sparsamen Schwaben scheinen demnach nicht ganz falsch zu sein.

Noch im 17. Jahrhundert umfasste das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen gut 300 souveräne Staaten. Erst Otto von Bismarck bereitete der Kleinstaaterei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Ende und ebnete den Weg für einen deutschen Einheitsstaat unter preußischer Führung. Doch das historisch tief verankerte föderalistische Empfinden und Denken der Deutschen mit all ihren Autonomiebestrebungen spiegelt sich auch heute in Politik, Wirtschaft, Kultur und Alltag wider. Anhand von schulischen Begabungseinschätzungen, Rekrutenuntersuchungen, Testergebnissen von Offiziersanwärtern sowie regionaler Kriminalstatistiken und psychiatrischer Statistiken belegt der Autor die Verschiedenheit der regionalen Populationen hinsichtlich ihrer Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen.

Interessant ist etwa Vondernachs Charakterisierung der Ostpreußen. Die deutschen Bewohner Ostpreußens im Westen der Provinz hätten ein „ruhiges, langsames, verschlossenes Wesen, jedoch fehlen Belege für besondere Ernsthaftigkeit“. Sie gelten als „schweigsam und ungesellig“, als „weich und gleichmütig, gelegentlich auch als grüblerisch, sowie als religiös, wenig unternehmend und konservativ“. Im Kontrast dazu stehe das „lebhafte und gesellige Temperament“ der Masuren, die außerdem als „verschmitzt, wankelmütig und leichtsinnig“ beschrieben werden. Die Litauer im Nord-osten Ostpreußens werden besonders wegen ihrer „Phantasiebegabung und Musikalität“ hervorgehoben.

Eine Sonderstellung in Ostpreußen würden die Salzburger im Osten der Provinz einnehmen, die sich hier im 18. Jahrhundert als protestantische Glaubensflüchtlinge ansiedelten. Ihr fleißiges, ernstes und nüchternes Temperament sieht der Autor als Beleg für den Einfluss der konfessionellen Prägung.

Auch den Nord-Süd-Unterschied hält der Autor für konfessionell bedingt und schätzt sie größer als die Differenzen zwischen Ost- und West ein. So seien die Mecklenburger den Schleswig-Holsteinern etwa ähnlicher als den Sachsen. Dahinter stehe die Tatsache, dass sich die Reformationsbewegung nur im Norden durchsetzen konnte, während im Süden konservativ-katholische Traditionen dominieren. Vondernach erachtet diese kulturellen Gegebenheiten in Wechselwirkung mit den Genen, der natürlichen Umwelt und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für prägender als den Unterschied zwischen BRD und DDR. Insgesamt würden im Zeitalter der Massenkommunikation und Mobilität die Differenzen ohnehin immer mehr verwischen. Verhaltenseigentümlichkeiten ließen sich heute eher durch das Bildungsniveau, die Größe des Wohnorts und das Alter als durch die regionale Herkunft erklären.

Der Autor entwirft ein detailliertes Bild regionaler Mentalitäten im deutschen Sprachgebiet. Empirisch fundiert er seine Untersuchungen zur psychologischen Wirkungsweise, dem Alter und den Ursachen der Regionalcharaktere. Damit stößt er in eine Forschungslücke. Abgesehen von der Schwierigkeit, Verhalten zu messen, besteht weder bei den meisten Wissenschaftlern noch bei finanzstarken Investoren Interesse an diesem Thema, das im 18. Jahrhundert noch literaturfähig gewesen sei. Dabei könnten Studien zu innerdeutschen Besonderheiten vor allem in der Werbebranche oder in der Unternehmensführung von Bedeutung sein. Sophia E. Gerber

Andreas Vonderach: „Die deutschen Regionalcharaktere. Psychologie und Geschichte“, Husum Verlag, Husum 2012, 204 Seiten, 19,95 Euro


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