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01.12.12 / Moskaus Mann in der Gestapo / Dem Berliner Polizisten Willy Lehmann wurde seine Spionage für die UdSSR zum Verhängnis

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-12 vom 01. Dezember 2012

Moskaus Mann in der Gestapo
Dem Berliner Polizisten Willy Lehmann wurde seine Spionage für die UdSSR zum Verhängnis

Mitte Juni 1945 suchte ein gewisser Alexander Erdberg im zerstörten Berlin die Witwe Margarete Lehmann auf, um sich nach seinem Freund Willy Lehmann zu erkundigen, zu dem er bei Kriegsausbruch leider den Kontakt verloren habe. Bei „Erdberg“ handelte es sich um den sowjetischen Geheimdienstoffizier Aleksandr Korotkov, der den Auftrag hatte, das Schicksal des wertvollen Agenten A-201 „Breitenbach“ zu klären.

Die gramgebeugte Witwe erzählte dem vorgeblichen Österreicher, ihr Mann sei am Weihnachtsvorabend 1942 plötzlich in seine Dienststelle gerufen worden und danach nicht mehr zurückgekehrt. Wochen später habe sie seine persönlichen Sachen zurückerhalten und am 29. Januar 1943 sei im „Befehlsblatt des Chefs der Sicherheitspolizei und SD“ die Mitteilung veröffentlicht worden, Willy Lehmann habe im Dezember 1942 sein Leben im Kampf „für Führer und Reich“ gegeben. Angeblich sei der schwer zuckerkranke Gestapobeamte auf der Fahrt nach Warschau bewusstlos aus dem Zug gefallen, doch habe ihr ein Kollege ihres Mannes heimlich gesteckt, man habe ihn im Gestapokeller erschossen.

Willy Lehmann wurde am 30. Mai 1884 in Mehderitzsch bei Leipzig als Sohn eines Grundschullehrers geboren und erlernte den Tischlerberuf. Der abenteuerlustige junge Mann trat 1901 in die Kaiserliche Marine ein, absolvierte seine Ausbildung auf der Kreuzerfregatte „Stein“ und diente als Oberstückmeister auf einem Kreuzer. 1911 wechselte der intelligente Unteroffizier zur Berliner Polizei. Nach kurzem Dienst bei der Kriminalpolizei fand Kriminalkommissar Lehmann ab Juli 1913 in der Berliner „Staatspolizei-Centralstelle“ Beschäftigung, die sich mit Spionageabwehr beschäftigte und ständig auf der Suche nach gewandten Mitarbeitern war. Willy Lehmann erwies sich als geeignet und wurde ins Stammpersonal übernommen. Bei Kriegsende 1918 liebäugelte er kurz mit der Sozialdemokratie, ließ sich sogar zum Vorsitzenden der „Vereinigung der Polizeibeamten“ wählen, blieb dann aber doch seiner Spionageabwehrtätigkeit treu, wobei er sich auf die Überwachung sowjetischer Einrichtungen spezialisierte. Durch einen früheren Kollegen wurde Lehmann der Auslandsabteilung der OGPU, dem Vorgänger des NKWD, zugeführt und Anfang September 1929 erfolgreich angeworben. Lehmann war zwar keineswegs Kommunist, sympathisierte aber seit dem Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05 mit Russland. Willy Lehmann war zuckerkrank und der Spionagelohn ermöglichte ihm eine gute medizinische Behandlung. Als seine Ehefrau später ein Hotel in Schlesien erbte, das dem kinderlosen Ehepaar als Altenteil dienen sollte, steckte der Kommissar fortan jede Mark in diese Immobilie.

Willy Lehmann erwies sich mit seinem ungehinderten Zugang zu den Karteien der Berliner Geheimpolizei als Glücksgriff für den sowjetischen Geheimdienst. Man investierte deshalb viel Geld in seine angeschlagene Gesundheit und ermöglichte ihm kostspielige Kurreisen. Seinen Kollegen erklärte er, diese Reisen mit größeren Geldgewinnen aus Pferdewetten zu finanzieren. Den Machtantritt der Nationalsozialisten überstand der altgediente Polizeibeamte ohne Probleme, wurde wegen seiner Spezialkenntnisse in die Gestapo übernommen und trat am 20. April 1934 sogar der SS bei. Seine sowjetischen Auftraggeber bediente Willy Lehmann mit der Pflichttreue eines preußischen Beamten alter Schule. Er warnte sie rechtzeitig, wenn wertvolle sowjetische Agenten wie Arnold Deutsch oder Erich Tacke ins Blickfeld der Gestapo gerieten. Arnold Deutsch konnte man deshalb rechtzeitig nach England umsetzen, wo er die berühmten „Cambridge Five“ inklusive Kim Philby anwarb. Brauchte die Sowjetunion Informationen über Wernher von Braun und die deutsche Raketenrüstung, den inhaftierten KPD-Chef Ernst Thälmann oder persönliche Angaben über Gestapochef Heinrich Müller, Willy Lehmann lieferte alles schnell und zuverlässig. Selbst beim letzten Zusammentreffen mit seinem Führungsoffizier am 19. Juni 1941 warnte Willy Lehmann diesen nicht nur vor dem unmittelbar bevorstehenden Angriff auf die Sowjetunion, sondern übergab gleich noch eine Kopie der von Reinhard Heydrich am 10. Juni 1941 angefertigten Studie „Über die sowjetische umstürzlerische Tätigkeit in Deutschland“. Als der zum sowjetischen Botschaftspersonal in Berlin gehörende Führungsoffizier nach Kriegsausbruch ausreisen musste, verlor Lehmann allerdings die Verbindung zum sowjetischen Geheimdienst.

Der NKWD-Agent und deutsche Kommunist Heinrich Koenen, als Fallschirmagent über Ostpreußen abgesetzt und am 29. Oktober 1942 in Berlin verhaftet, brachte mit seinen Aussagen die Gestapo auf Willy Lehmanns Spur. Ein junger Gestapokommissar aus Erfurt spielte Willy Lehmann anschließend die Rolle des sowjetischen Fallschirmagenten vor und überführte ihn dadurch. Wahrscheinlich grauste es Heinrich Himmler, Hitler berichten zu müssen, dass die Gestapo vom sowjetischen Geheimdienst unterwandert war und er ließ Lehmann deshalb klammheimlich liquidieren.

Dem sowjetischen Geheimdienst war der Agent Lehmann bis heute keinen Orden wert, aber seine Witwe erhielt später eine goldene Armbanduhr mit der eingravierten Inschrift „Zum Andenken von den sowjetischen Freunden“. Jürgen W. Schmidt


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