25.04.2024

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01.12.12 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-12 vom 01. Dezember 2012

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

diese Mitteilung vorweg, da sie uns so kurzfristig erreichte, dass der angegebene Termin kaum noch einzuhalten ist. Trotzdem wollen wir diese Aufforderung zur Mitarbeit an einem internationalen Projekt veröffentlichen, da es die Leserinnen und Leser interessieren dürfte, die bereit sind, sich als Zeitzeugen für einen geplanten Dokumentarfilm zur Verfügung zu stellen. Das ist auch die Meinung von Frau Regina Möller, die diese E-Mail vor einigen Tagen erhielt und sie an uns weiterleitete. Wir veröffentlichen das an Frau Möller persönlich gerichtete Schreiben, das von der Leiterin des Museums „Friedländer Tor“ in Königsberg, M. A. Jadowa, unterzeichnet ist, im vollen Wortlaut.

„In diesem Jahr startete das Museum ,Friedland Gate‘ (Kaliningrad, Russland) zusammen mit dem historisch-archäologischen Museum in Elblag (Polen) das internationale Projekt ,Museen ohne Grenzen‘ im Rahmen des grenzüberschreitenden Programms der Zusammenarbeit ,Litauen-Polen-Russland‘, das von dem Europäischen Fonds für Nachbarschaft und Partnerschaft finanziert wird. Das Ziel des vorliegenden Projekts ist unter anderem geschichtliche Forschung. Im Rahmen dieses Projekts ist geplant, den Film ,Zeugnisse‘ zu erstellen, mit Interviews von ehemaligen Einwohnern Königsbergs, Elbings und ganz Ostpreußens. Das Projekt ist geplant als Film mit Erzählungen von ehemaligen Bewohnern Ostpreußens über das Leben in der Provinz. Wir laden Sie, Zeugen der Geschichte Ostpreußens, zur Teilnahme an diesem Projekt ein. Wenn Sie Ihre Erinnerungen mitteilen mögen, erfüllen Sie die wichtigste Voraussetzung zur Mitarbeit. Wenn Sie an diesem Programm teilnehmen wollen, senden Sie bitte an die angegebene Adresse des Museums Friedländer Tor Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort sowie Ihre Kontaktdaten (Telefon, E-Mail, Adresse) für einen weiteren Kontakt. Um einen authentischen Film über das Leben in Ostpreußen zu erstellen, benötigen wir Ihre Teilnahme.“

Soweit das ungekürzte Schreiben, das von dem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Museums, A. P. Martynjuk, mit unterzeichnet ist. Die Adresse lautet: Museum „Friedländer Tor“, Dserschinskij Straße 30, Kaliningrad 236004, Telefon 007-4012-644-020, E-Mail: friedlander_tor@mail.ru, www.fvmuseum.ru

Als Termin für eine Antwort ist der 1. Dezember angegeben, der aber nicht bindend sein dürfte, da solch ein Projekt ja eine längere Vorbereitungszeit benötigt. Durch die modernen Kommunikationsträger ist ja eine schnelle Verbindung möglich. Es ist anzunehmen, dass diese Mitteilung das Interesse einiger Leserinnen und Leser finden wird, wie auch schon andere über unsere Zeitung gelaufenen Projekte, die sich mit der Befragung von Zeitzeugen befassen, bewiesen haben. Wir danken Frau Regina Möller für den Hinweis und die Überlassung der Unterlagen.

Da möchte ich kurz eine persönliche Verbindung einblenden, die zu dem jungen Russen Ilja Spesiwisew aus Königsberg, der mich in diesem Jahr aufgesucht hatte, um mit mir über meine Erstlingswerke zu sprechen, die er in russischer Sprache herausbringen will, darunter auch das in ostpreußischem Platt geschriebene Märchenbuch „De Lewensstruß“, das 1935 im Verlag Holzner, Tilsit, erschien. Anlässlich einer deutsch-russischen Veranstaltung im Stadt-Theater Tilsit [Sowjetsk], an der auch deutsche Gäste aus Kiel teilnahmen, kam er mit der dortigen Leiterin der Kunst-Jugend, Ira, ins Gespräch. Dabei erwähnte Ilja meine frühen Arbeiten für den Tilsiter Verlag, darunter auch den Rollentext eines plattdeutschen Lustspiels „Wenn de Musikante koame“, von dem ich noch eine Ausgabe besitze. Ursprünglich für die Niederpreußische Bühne in Königsberg geschrieben, hatte es durch die Herausgabe als Rollenheft in den 30er Jahren viele Aufführungen auf örtlichen Laienbühnen zu verzeichnen. Da ich auch viele plattdeutsche Stücke für den Reichssender Königsberg geschrieben habe, erklärte sich unser russischer Literaturfreund bereit, einige zu übersetzen, damit sie von der von Ira geleiteten Gruppe in russischer Sprache aufgeführt werden können. Sie war begeistert von der Idee, aber so leicht lässt sie sich nicht verwirklichen. Es existiert nämlich kein einziges Hörspiel mehr, weder als Aufnahme noch als Manuskript, und das Lustspiel ist ein abendfüllendes Stück, daher kaum zu übersetzen und noch schwieriger zu spielen. Ich werde Ilja aber vorschlagen, es zuerst mit kleinen Sketchen zu versuchen, die ich vor einigen Jahren für das Heft der Kulturabteilung der LO „So sind wir“ geschrieben habe. Diese lassen sich gut übersetzen und sind leicht zu spielen. Wenn einige von ihnen im Tilsiter Stadt-Theater aufgeführt werden sollten, wäre das im Sinn von Ilja, der die Kultur als große Brücke zwischen dem Einst und Jetzt sieht, wie die Worte beweisen, die seine lange E-Mail beenden: „Doppelte Heimat kann ihre Teile durch Kunst in Harmonie bringen.“

Zeitzeugen sucht auch Herr Joachim Albrecht aus Wetzlar, oder vielmehr Augenzeugen, denn es handelt sich um einen Vorgang auf einem Flüchtlingsschiff im Rahmen der größten Rettungsaktion der Geschichte, der „Rettung über See“. Wer diese Flucht aus dem eingekesselten Ostpreußen über die Ostsee miterlebt hat – und dazu gehöre auch ich – hat sie nie vergessen und wird sie auch nicht bis an sein Lebensende. Auch Joachim Albrecht war dabei, und er hat darüber ein Buch geschrieben, „Katjuscha und ihre Folgen. Königsberg im Jahr 1945 und das Rettungsschiff ,Wullenwever‘“. Auf diesem Schiff war der Autor, der die Vorgänge einer kritischen Situation am 30./31. Januar 1945 in dem Buch so schildert, wie er sie in Erinnerung hat. Ein Leser seines Buches, der sie auch miterlebt hat, legt aber eine andere Version vor, so dass Herr Albrecht sich nun an uns wendet, um weitere Augenzeugen zu finden, die zur Klärung beitragen könnten. Er hofft, dass noch lebende Besatzungsmitglieder oder Mitflüchtlinge sich daran erinnern können, dass sich die „Wullenweber“ in dieser Nacht plötzlich aufbäumte und alles durcheinander flog. Joachim Albrecht beschreibt diesen Vorgang in seinem Buch so:

„Als ich am darauf folgenden Morgen wieder wach wurde, musste ich feststellen, dass mir etwas entgangen war. Erregt wurde diskutiert und getuschelt. Eine Mine muss, wahrscheinlich vor unserm Schiff, durch die von Minensuchbooten gezogenen Netze zur Explosion gebracht worden sein. Der Bug des Schiffes war plötzlich in eine extreme Höhenlage versetzt worden, wodurch alle unbefestigten Teile durcheinander geflogen wären. Die in den Regalen oder Nischen in Konservendosen aufbewahrten Essensreste wären nur so umher gewirbelt. Nur ich hatte wie ein Murmeltier geschlafen und von allem nichts mitbekommen. Die Besatzung versuchte wohl zur Beruhigung, dieses Ereignis herunterzuspielen. Sie ließ verlauten, dass diese Schiffsbewegung auf eine große Welle zurück­zuführen wäre. Nur, dass diese Welle wohl durch eine mögliche Explosion einer Mine verursacht sein könnte, kam nicht zur Sprache.“

Soweit die Stelle aus seinem Buch, zu der nun der Leser – der übrigens ein Schulkamerad von Joachim Albrecht war und dessen Namen er in dem Bericht erwähnte –, aufgrund der Erinnerungen seiner Familienangehörigen wie folgt Stellung nimmt: „Unser Schiff befand sich im Fahrwasser der ,Wilhelm Gustloff‘. Durch die Torpedierung der Gustloff mit drei Torpedotreffern hätte sich eine Welle erzeugt, die unser Schiff in der geschilderten Form getroffen hätte.“ Herr Albrecht meint wiederum, dass diese extreme Schiffsbewegung der „Wullenweber“ sich nach der Versenkung der „Gustloff“ am 30. Januar in der Danziger Bucht ereignete, als das Schiff in dem zusammengestellten Konvoi wieder von Gotenhafen aus nach Westen fuhr. Beide waren ja damals noch im Jungenalter und haben den Vorgang nicht bewusst mitbekommen. Aber es dürfte noch Leserinnen und Leser geben, die sich an diese für sie lebensbedrohende Situation erinnern. Vielleicht können auch Marineexperten oder ehemalige Reedereiangehörige zur Klärung beitragen. In der umfassenden Dokumentation über die Rettung von fast drei Millionen Menschen „Sie kamen über das Meer“ von Ernst Fredmann ist die „Wullenweber“ ohne Reedereiangabe registriert.

(E-Mail Adresse von Joachim Albrecht aus Wetzlar: albrecht. joachim@web.de)

Nun beginnt die Adventszeit und vielleicht steigt Euch der Duft von Honig, Nelken und Piment in die Nase, wenn Ihr unsere Extra-Familie lest. Und als Übergang möchte ich einen Vers aus dem Gedicht „Peperkoke“ von Alfred Marquart bringen, das ich in dem Arbeitsbrief der LO „Läwe und Sproak tohus oppem Land“ gefunden habe: „Eck denk nu an de Wintertied, Advent to Huus, on nich mehr wiet de Klang von Wiehnachtsglocke. Voll Freid und Spannung weer de Luft, dorch alle Stoawe tooch de Duft von frösche Peperkoke“.

Eure Ruth Geede


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