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08.12.12 / Autorin inspiriert Übersetzer zu einem Märchen / Marianne Peyinghaus, Verfasserinvon »Stille Jahre in Gertlauken«, und Charles Stacy verbindet ein intensiver Briefwechsel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-12 vom 08. Dezember 2012

Autorin inspiriert Übersetzer zu einem Märchen
Marianne Peyinghaus, Verfasserin von »Stille Jahre in Gertlauken«, und Charles Stacy verbindet ein intensiver Briefwechsel

Ich habe einen Brief bekommen, der so ganz aus dem schon breit gefächerten Rahmen unserer Korrespondenz fällt. Eigentlich ist er an mich persönlich gerichtet, aber ich möchte den Inhalt nicht für mich behalten, denn er zeigt auf, wie das Schick­sal unserer Heimat auch außerhalb der deutschen Grenzen Beachtung finden und ehemalige Gegner zu Freunden machen kann. Es handelt sich um das Buch „Stille Jahre in Gertlauken“ und seine Autorin Marianne Peyinghaus, das der Schriftsteller Charles Stacey aus Bristol ins Englische übersetzt hat. Seit dem Erscheinen der englischen Ausgabe im Jahr 2006 hat es eine aufmerksame Leserschaft gefunden und zwischen Verfasserin und Übersetzer zu einer wunderbaren Brieffreundschaft geführt, wie das mir übermittelte Schreiben des britischen Partners erkennen lässt, in dem dieser der deutschen Schriftstellerin ein ganz besonderes Geschenk anbietet, wie es eigentlich nur Literaten vermögen: Er schreibt für sie ein Märchen, zu dem Marianne Peyinghaus ihn unbewusst inspiriert hat, eine Art Parabel, in der sich beider Schicksale widerspiegeln.

Das Buch „Stille Jahre in Gertlauken“ ist aus der ostdeutschen Literatur der Nachkriegszeit nicht wegzudenken, seit es im Jahr 1985 als Erstausgabe erschien. Dabei ist es kein episches Werk, weder Novelle noch Roman, auch keine erst nach den geschilderten Ereignissen erarbeitete Dokumentation, sondern eine Sammlung von Briefen, die Marianne Peyinghaus als 20-jährige Junglehrerin des 800-Seelen-Dorfes im Kreis Labiau an ihre Eltern in Köln geschrieben hat. Ohne die geringsten literarischen Ambitionen, aber so lebendig und flüssig erzählt, dass sie ein unverfälschtes Spiegelbild des Lebens in den „stillen Jahren in Gertlauken“ wie auch von Aufbruch und Flucht vor dem Russeneinfall ergeben. Es ist faszinierend zu lesen, wie sich die junge, unbefangene Frau aus dem Rheinland in diese ihrem bisherigen Leben so konträre Welt des einsamen, ostpreußischen Dorfes einfügte, sie aufsog mit allen Fasern und sie lieben lernte – aber immer den abwägenden Blick für alles Geschehen behielt, um es den fernen Eltern verständlich übermitteln zu können. Ein Glück, dass diese Briefe über Bomben und Beschuss gerettet werden konnten, so dass sie heute noch nach Jahr und Tag ein untrügliches Bild Ostpreußens aus jener Zeit ergeben und als authentische Zeugnisse angesehen werden, was man ja nicht von jeder im Nachhinein geschriebenen Dokumentation behaupten kann.

Das mag auch den Briten Stacey fasziniert haben, der sich – nachdem er 1962 aus dem Militärdienst ausgeschieden war – mit Literatur und Malerei beschäftigte. Er schrieb über das Elend, das der Krieg an allen Fronten bewirkt hat, und deshalb interessierte ihn das Buch von Marianne Peyinghaus, so dass er mit der Autorin in Kontakt trat. Es ergaben sich im Laufe der Jahre immer enger werdende Verbindungen auch zu ihrem Ehemann Fritz Peyinghaus, der 1940 als Oberleutnant bei Dünkirchen abgeschossen worden war und dreieinhalb Jahre in englischer Gefangenschaft verbracht hatte, ehe er als Verwundeter ausgetauscht wurde. Bei der Übersetzung des Buches widmete Stacey ihm in seinem Vorwort ein Gedenken: „This brief introduction is dedicated to the memory of Fritz Peyinghaus, a brave and loyal servant of his country and much-loved husband of the author – who dies in September 2002 aged 92.“

In diesem Alter ist nun auch Marianne Peyinghaus, und ein intensiver Briefwechsel mit dem eng­lischen Partner wird schon schwieriger. Deshalb ist sein langes Schreiben besonders beachtenswert, in dem er auf ihren „schön geschmückten“ Brief eingeht, der das Bild eines Marienkäfers enthält, der Stacey nun zu einem Märchen inspiriert: „Ich schreibe jetzt eine Kindergeschichte über einen tröstenden Marienkäfer, der noch keine Punkte auf dem Rücken hat, und wie er sie von einem kleinen Mädchen bekommt, das seltsame Flecken hat. Es ist eine Krankheit, die den Ärzten unbekannt ist und die sie deshalb nicht heilen können. Dem kleinen Marienkäfer ohne Punkte gelingt es, sich auf das todkranke Mädchen zu setzen und ihm alle Flecken wegzunehmen. Er fliegt mit ihnen fort und stirbt.“ So lässt sich ungefähr der Inhalt des Märchens von Stacey zusammenfassen, das irgendwie an Oscar Wildes Märchen erinnert. Spielen unterschwellig auch die Kriegserlebnisse eine Rolle? Mir fällt das alte Kinderliedchen ein, das sich leider verwirklicht hat: „Marienkäfer fliege, dein Vater ist im Kriege, deine Mutter ist in Pommerland, Pommerland ist abgebrannt …“ Im Englischen heißt der Marienkäfer Ladybird, und über ihn gibt es einen ähnlichen Kindervers. Aber der Siebenpunkt gilt ja auch als Glücksbringer, und als solchen hat ihn Marianne Peyinghaus sicher in ihrem Brief übermitteln wollen. Auch ohne das Märchen ist es eine wunderschöne Geschichte. R.G.


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