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08.12.12 / Politisches Doppelspiel / Vertriebenenpolitik der SPD

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-12 vom 08. Dezember 2012

Politisches Doppelspiel
Vertriebenenpolitik der SPD

Einst war die SPD die Partei der Vertriebenen par excellence. Ihr erster Nachkriegsvorsitzender Kurt Schumacher, ein Westpreuße aus Kulm, gab 1946 die Parole aus, die SPD werde „um jeden Quadratmeter östlich der Oder und Neiße kämpfen“, Worte, die bis in die Mitte der 60er Jahre von SPD-Politikern wie Fritz Erler und Herbert Wehner zitiert wurden.

Da sich Sozialdemokraten um sozial Benachteiligte kümmerten, waren ihnen stets die Stimmen der Ostflüchtlinge und Vertriebenen im Gegensatz zur CDU sicher. Zudem startete die SPD nach dem Zerfall der Bundestagsfraktion des „Gesamtdeutschen Block/

Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ 1960 eine „Charmeoffensive“ gegenüber dem Bund der Vertriebenen. Führende SPD-Politiker waren regelmäßig auf Tagungen und Veranstaltungen des BdV und der Landsmannschaften als Redner anzutreffen.

Der BdV wurde von sozialdemokratischen Politikern fast dominiert und die SPD nahm Einfluss darauf, dass Männer mit SPD-Parteibuch wie der Sudetendeutsche Wenzel Jaksch und nach ihm der Ostpreuße Reinhold Rehs zu seinen Präsidenten gewählt wurden. Auf dem „Deutschlandtreffen der Schlesier“ 1963 in Köln standen in der Grußadresse der SPD-Führung die Worte: „Verzicht ist Verrat, wer wollte das bestreiten? 100 Jahre SPD heißt vor allem 100 Jahre Kampf für das Selbstbestimmungsrecht der Völker.“

Auch wenn nun Matthias Müller in seiner Dissertation herausarbeitet, dass diese Worte von Erich Ollenhauer, Willy Brandt und Herbert Wehner schriftlich nicht autorisiert wurden, distanzierten sie sich später nicht davon. Doch gab es schon immer in Teilen der SPD beträchtliche Vorurteile gegenüber den Vertriebenen. Wurden solche Tendenzen von Schumacher, Ollenhauer und anfangs auch von Wehner niedergehalten, änderte sich dies nach der Wahl von Willy Brandt zum SPD-Vorsitzenden. Nunmehr kam sein „spin-doctor“ Egon Bahr zum Tragen, der da­rauf bestand, dass die Wiedervereinigung vor der Lösung der Grenzfragen Vorrang habe und Recht natürlich nicht zu „neuem Unrecht“ führen dürfe.

Schließlich folgte der „Peitschenknall von Nürnberg“ 1968, als der damalige Außenminister und SPD-Vorsitzende Brandt die Anerkennung der „bestehenden Grenzen“ bis zu einem späteren Friedensvertrag forderte und der düpierte BdV-Vorsitzende Reinhold Rehs zornig zur CDU übertrat, die sich seitdem um Wählerstimmen von Vertriebenen bemühte. Müller geht davon aus, dass Brandt bereits seit 1946 die deutschen Ostgebiete innerlich abgeschrieben gehabt und nur aus wahltaktischen Gründen ein Doppelspiel mit den Vertriebenen getrieben habe. Insofern sind Brandts Worte in seinen Memoiren, „entscheidend war für mich …, dass Ostpolitik nicht hinter dem Rü­cken der Vertriebenen gemacht wurde“, eine Selbsttäuschung dieses innerlich wohl zerrissensten aller deutschen Nachkriegspolitiker. Jürgen W. Schmidt

Matthias Müller: „Die SPD und die Vertriebenenverbände 1949–1977. Eintracht, Entfremdung, Zwietracht“, LIT-Verlag, Münster 2012, 603 Seiten, 59,90 Euro


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