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15.12.12 / Europas heimlicher Gesetzgeber / EU-Gerichtshof baut seine Macht immer weiter aus – Kritiker: Rechtsgrundsätze werden erfunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-12 vom 15. Dezember 2012

Europas heimlicher Gesetzgeber
EU-Gerichtshof baut seine Macht immer weiter aus – Kritiker: Rechtsgrundsätze werden erfunden

Nach dem Bundesverfassungsgericht hat nun auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) dem Euro-Rettungsschirm ESM einen „Persilschein“ ausgestellt. Die Entscheidung ist kaum verwunderlich. Der EuGH, derzeit unter Präsidentschaft des Griechen Vassilios Skouris, hat sich stets als „Motor der europäischen Integration“ verstanden – häufig sogar mit umstrittenen Methoden. Zumindest auf juristischem Wege dürfte der Start des Euro-Rettungsschirms ESM zum 1. Januar 2013 nicht mehr zu verhindern sein.

Bereits Ende November hat der EuGH eine Klage des irischen Parlamentsabgeordneten Thomas Pringle gegen den ESM abgewiesen. Weder verbiete der Lissabon-Vertrag, dass sich Länder gegenseitig finanziell unterstützen, noch sei das Schnellverfahren, mit dem der ESM-Vertrag zustande gekommen ist, zu beanstanden, so die Luxemburger Richter. Genauso erfolglos verlief die Klage einer Journalistin vor dem EuGH. Sie wollte von der Europäischen Zentralbank die Herausgabe von Unterlagen zur Verschuldung Griechenlands erzwingen. Auch in diesem Fall entschieden die Luxemburger Richter zugunsten einer EU-Organisation. Die Einsicht in die Unterlagen kann verweigert werden, wenn das Gemeinwohl gefährdet ist, so die windelweiche Begründung.

Beiden unterlegenen Klägern hätte vorab ein Blick auf die Geschichte des Europäischen Gerichtshofs gut getan. Der hat aus seinem Selbstverständnis „Motor der europäischen Integration“ zu sein, nie einen Hehl gemacht. Als Akteur taucht der Gerichtshof zwar auf keinem Gipfeltreffen auf – gemessen an den Einflussmöglichkeiten braucht sich der EuGH aber unter den Institutionen der EU nicht zu verstecken. Seit seiner Gründung im Jahr 1952 hat es der EuGH verstanden, seine Macht immer weiter auszubauen. Regelmäßig wiederkehrend war dabei vor allem ein Vorwurf von Kritikern, der Gerichtshof schreibe in kleinen Schritten das europäische Gemeinschaftsrecht selbst um, ohne dafür ein Mandat zu haben. Häufig sind es zunächst unspektakuläre Fälle, die der EuGH nutzt, um Präzedenzfälle zu schaffen, mit denen dann die jeweilige nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung unter Druck gesetzt wird. Unter der Überschrift „Stoppt den Europäischen Gerichtshof!“ kam die bisher wohl vernichtendste Kritik am EuGH vom Ex-Bundespräsidenten Roman Herzog. Auch er sieht die Fehlentwicklung, dass der Gerichtshof selbst als heimlicher Gesetzgeber aktiv wird.

Dabei scheint der EuGH auch bei der Wahl der Mittel nicht besonders zimperlich zu sein. Die Vorwürfe von Herzog, immerhin einem ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht, haben es in sich. Er sieht, dass der EuGH „... zentrale Grundsätze der abendländischen richterlichen Rechtsauslegung bewusst und systematisch ignoriert, Entscheidungen unsauber begründet, den Willen des Gesetzgebers übergeht oder gar in sein Gegenteil verkehrt und Rechtsgrundsätze erfindet, die er dann bei späteren Entscheidungen wieder zugrundelegen kann“. Bei diesem Vorgehen sind den Richtern in Luxemburg kaum wirkliche Grenzen gesetzt. Die handverlesenen und hochbesoldeten Juristen des EuGH nutzen geschickt die Freiräume, die sich durch das ständige Machtgerangel zwischen EU-Kommission, Mitgliedsstaaten und EU-Parlament auftun. Sollte man im Einzelfall wirklich vorhaben, dem Gerichtshof auf die Finger zu klopfen, müss­ten sich sämtliche beteiligten Akteure einig sein – ein höchst unwahrscheinliches Szenario, zumal bei der EU-Kommission vollste Zufriedenheit mit dem Gerichtshof herrschen dürfte: Bei dem Vorhaben, unter dem Etikett „europäische Integration“ die Nationalstaaten vollständig zu entmachten, ist der EuGH der perfekte Partner für die EU-Kommission. Eines der Mittel, um noch mehr Kompetenzen nach Brüssel und Luxemburg zu holen, sind die Vertragsverletzungsverfahren. Bei vermeintlichen Verstößen gegen EU-Recht hat die EU-Kommission die Möglichkeit, Mitgliedsländer beim EuGH zu verklagen. Das ist vor allem, wenn es um unklare juristische Grauzonen geht, für Brüssel ein ideales Druck­mittel. Aus Sicht des Gerichtshofs wahrscheinlich noch interessanter sind die Vorabentscheidungsverfahren. Sie erlauben es unteren nationalen Gerichten, Fälle direkt in Luxemburg zur Prüfung vorzulegen. Die Folge: Obere nationale Instanzen wie Verfassungsgerichte werden immer öfter umgangen, während der Gerichtshof in Luxemburg zunehmend Entscheidungsmacht an sich zieht.

Hoffnungen, dass diese Entwick­lung etwa durch das Bundesverfassungsgericht gestoppt wird, kann man nach einem Karlsruher Urteil aus dem Jahr 2010 getrost ad acta legen. Damals hat das oberste deutsche Gericht die Hürde für eine Konfrontation mit dem EuGH so hoch gelegt, dass dieser damit de facto einen Freibrief erhalten hat. Lediglich, wenn EU-Institutionen ihre Kompetenzen „in schwerwiegender Weise“ überschreiten, komme eine Kontrolle von europäischen Entscheidungen durch Karlsruhe in Betracht, so der Kommentar der deutschen Verfassungsrichter zu ihrer faktischen Selbstentmachtung. Beanstandet werden sollen nur noch „offensichtlich kompetenzwidrige“ Urteile des EuGH. Angesichts des Drangs des Luxemburger Gerichtshofs, sich selbst zum Gesetzgeber aufzuschwingen und immer weitere Bereiche der bisherigen nationalen Rechtsprechung an sich zu ziehen, sind die Folgen dieser Zurückhaltung des obersten deutschen Gerichts leicht absehbar. Norman Hanert


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