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15.12.12 / Warten auf den Erlöser / Das Interesse an fantastischer Literatur hat auch religiöse Gründe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-12 vom 15. Dezember 2012

Warten auf den Erlöser
Das Interesse an fantastischer Literatur hat auch religiöse Gründe

Das Prinzip ist einfach: Gut kämpft gegen Böse, und am Ende gewinnt immer das Gute. Auf diese simple Formel kann man auch den „Hobbit“ bringen, in dem 14 zwergenhafte Wesen immer gegen riesenhafte Trolle und andere zähnefletschende Monster die Oberhand behalten. Am Ende wird sogar ein gigantischer feuerspeiender Drache das Zeitliche segnen müssen.

So völlig fern jeder Realität das Grundmuster solcher fantastischer Welten auch sein mag, so sehr befriedigt es die Sehnsüchte der meisten Menschen. Wenn man schon dem tristen Alltag nicht wirklich entkommen kann, so stellen solche Heldenwelten ideale Fluchtorte wenigstens in der Fantasie dar. Und das Idealbild eines Mittelalters, in dem noch echte Recken um Ruhm und Ehre kämpften, kommt solchen Sehnsüchten sehr nahe.

Im „Hobbit“ finden sich denn auch viele Anklänge an das Mittelalter. Nicht von ungefähr spricht Tolkien vom Zeitalter der „Mittelerde“. Es liegt wie im Märchen irgendwie zwischen allen: alt und neu, gestern und heute, schon vorbei und nie gewesen. Das Personal ist eine entsprechende Melange mythischer Figuren: Zauberer, Elben (eigentlich „Elfen“), Riesen, Zwerge, Unholde und Zartbesaitete – alles passt in diesen Topf. Als Zutat gibt es eine Prise Gotik. Anklänge an mittelalterliche Kathedralen finden sich auch im „Hobbit“ zuhauf, etwa wenn die Protagonisten steile Stegen und hohe Gerüste überwinden müssen und den Abgrund dabei immer vor Augen haben.

Dass in letzter Sekunde oft ein Zauber das Leben rettet, entspricht dem Wunsch nach dem Wunder der Unsterblichkeit. Überhaupt darf die christliche Symbolik solcher fantastischer Werke nicht unterschätzt werden, steht doch das „Quest“-Motiv im Vordergrund, also die Suche nach etwas Heiligem. Parzival suchte im mittelalterlichen Epos nach dem Heiligen Gral. Im „Hobbit“ geht man auf die Suche nach einem Drachen, der die heilige Heimat besetzt hält. Den Goldhort, den er wie im Nibelungenlied hütet, entspricht dem Gral aus der Artus-Sage, den man zurücker­obern will. Der Wunsch nach Erlösung, wenn die „Kreuzritter“ entkräftet am Ziel sind, entspricht der Sehnsucht, sich am Ende gottesfürchtig in die starken Arme eines neuen (An-)Führers fallen zu lassen, den viele in einer heutigen gottlosen Welt vermissen.

Um zum Ziel zu gelangen, muss eine Reihe meist blutiger Abenteuer bestanden werden. Sie sind das Salz in der Suppe, die eine Geschichte erst genießbar macht und für Spannung sorgt. Schon eines der ersten literarischen Werke der abendländischen Kultur war im Grunde ein Fantasy-Abenteuer: Odysseus kämpfte gegen Zyklopen und ließ sich von einer Zauberin, die seine Gefährten in Schweine verwandelt hat, be„circen“. Und ist nicht selbst die Bibel ein fantastisches Märchenbuch über Figuren, die zur Salzsäure erstarren und über Wasser wandeln? Im Vergleich dazu nimmt sich der „Hobbit“ trotz reicher Fantasie geradezu bescheiden aus. Harald Tews


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