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15.12.12 / Selbstständig arbeitslos / Immer mehr Kleinstunternehmer beziehen als »Aufstocker« staatliche Transferleistungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-12 vom 15. Dezember 2012

Selbstständig arbeitslos
Immer mehr Kleinstunternehmer beziehen als »Aufstocker« staatliche Transferleistungen

Rund 1,4 Millionen Erwerbstätige verdienen in Deutschland zu wenig, um davon leben zu können. Sie stocken mit Leistungen vom Arbeitsamt (Arbeitslosengeld II/ALG II) auf. Besonders die Zahl der Selbstständigen unter diesen Aufstockern hat zugenommen. Sie hat sich laut aktuellem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) seit 2007 von 67000 auf 126000 im Jahre 2010 fast verdoppelt.

Viele von diesen Selbstständigen arbeiten demnach besonders in Gastronomie und Gesundheitssektor in Vollzeit und haben doch zu wenig zum Leben. Die deutsche Arbeitslosenstatistik weist trotz Winter und Konjunkturschwäche Positives aus: 2,751 Millionen Menschen waren im November offiziell arbeitslos, 2000 weniger als im Oktober. Die Quote liegt auf einem europaweit niedrigen Niveau von 6,5 Prozent. Große Gruppen arbeitsfähiger Menschen tauchen aber nicht in dieser Zählung auf, was die Bilanz schönt. Wer in Arbeitslosigkeit krankgeschrieben ist, fällt ebenso aus der Erhebung wie alle, die weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten können. Somit ist es möglich, offiziell selbständig zu sein und faktisch kaum Arbeit zu haben. Sogar eine Existenzgründung in Arbeitslosigkeit ist möglich. Wer in Arbeitsfördermaßnahmen „geparkt“ ist, fällt auch aus dem Raster. Und auch wer einen Ein-Euro-Job ausübt, gilt nicht als arbeitslos. Ab einem Alter von 58 Jahren kommt selbst ein aktiv Arbeit Suchender nicht mehr offiziell als solcher in Betracht, wenn er bereits zwölf Monate oder länger Arbeitslosengeld II bezogen hat und während dieser Zeit keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten bekam. Viele Menschen werden schon vorher dauerhaft aus der Arbeitsstatistik und allen entsprechenden Bemühungen entfernt. Die Selbstständigkeit ist dann oft die Endstation vor einer Rente mit Abstrichen.

Das IAB-Institut der Bundesagentur für Arbeit hat nun den Bericht „Viel Geld für wenig Arbeit. Selbstständige in der Grundsicherung“ vorgelegt. Das Institut untersuchte den Trend, da die Zahl der selbstständigen Aufstocker in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. Besonders die sozialversicherungspflichtig teilzeitbeschäftigten Aufstocker sind 2011 mehr geworden. Nur gut jeder zehnte Aufstocker sucht demnach als Selbstständiger sein Auskommen, doch unauskömmliche Arbeit nimmt hier besonders zu. „Zudem ist bekannt, dass der größte Teil der Aufstocker geringfügig oder in Teilzeit beschäftigt ist und ihre Bruttostundenlöhne mit durchschnittlich sechs bis sieben Euro pro Stunde relativ gering sind“, so das Papier. Viele Selbstständige beziehen die Leistung immer länger, schaffen den Absprung nicht. Selbstständigkeit trifft heute viele: Wer eine Festanstellung verliert und nichts Neues findet, dem bietet die Arbeitsverwaltung oft diesen letzten Ausweg an. Die Bundesagentur für Arbeit hat dabei grundsätzlich Probleme, Daten zu Selbstständigen zu liefern, weil sie nur auf Akten von Existenzgründern und Anträge auf Grundsicherung zurückgreifen kann, so die Autoren der Studie.

Eine hohe Dunkelziffer kaum profitabler selbstständiger Tätigkeiten ist zu erwarten. Vor allem Männern im Alter von 25 bis 61 Jahren droht dieses Aufstockerdasein, während jüngere sofort zu vermitteln sind. Ausländer sind indes mit 20 Prozent als Aufstocker „leicht unterrepräsentiert“. Selbstständige Aufstocker sind statistisch vor allem alleinstehende Männer oder solche mit Familie, Behördendeutsch „Bedarfsgemeinschaft“, ansonsten gebe es in Sachen Alter und Geschlecht kaum Unterschiede zu abhängig beschäftigten Aufstockern. Ein Drittel der derart Selbstständigen verdient weniger als 100 Euro im Monat.

Die allgemeine Ausweitung von Niedriglöhnen und Aufstockern trägt landesweit zu schwindender Kaufkraft bei: 2007 betrug laut dem gewerkschaftsnahen WSI-Institut der Anteil der Arbeitenden am Volkseinkommen noch 38 Prozent, Anfang Dezember dagegen waren es nur noch 36,6 Prozent, Tendenz sinkend. Mit mangelnder Qualifikation der selbstständigen Aufstocker ist das nicht zu erklären, denn rund 16 Prozent von ihnen sind Akademiker, mehr als bei den abhängig Beschäftigten, so das IAB. Eine Studie des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass von allen Selbstständigen die Aufstocker 2010 bereits 2,9 Prozent ausmachten. Im Jahre 2007 waren es noch 1,7 Prozent. Gleichzeitig sank demnach die Zahl Selbstständiger mit geringem Haus­haltsnetto­einkommen (unter 1100 Euro) sogar. Die geförderte Selbstständigkeit nützt somit vor allem der Vermittlungs- und Weiterbildungsbranche: Jeder vom Arbeitsamt in Selbstständigkeit Komplimentierte wird zu privatwirtschaftlich organisierten Vorbereitungskursen geschickt. Sverre Gutschmidt


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