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15.12.12 / Einfach märchenhaft / Ein Bestseller bis heute: Vor 200 Jahren erschien der erste Band der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-12 vom 15. Dezember 2012

Einfach märchenhaft
Ein Bestseller bis heute: Vor 200 Jahren erschien der erste Band der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm

Schneewittchen, Hänsel und Gretel, Dornröschen oder Rotkäppchen sind in der ganzen Welt bekannt. Kaum ein anderes Werk deutscher Literatur ist international so erfolgreich geworden wie Grimms Märchen. Vor 200 Jahren, am 20. Dezember 1812, erschien in Berlin der erste Band.

Zu der weltweit am meisten übersetzten deutschsprachigen Literatur gehören die Märchen von Jacob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859). Sie sind das bekannteste Vermächtnis der beiden Hanauer Brüder, während ihre grundlegenden sprach- und literaturwissenschaftlichen Werke naturgemäß keine vergleichbare Breitenwirkung erzielten. Am 20. Dezember 1812 erschien in der Berliner Realschulbuchhandlung der erste Band der von ihnen gesammelten „Kinder- und Hausmärchen“. Er enthält 86 Märchen, Scherz-, Lügen- und Gruselgeschichten mit Erläuterungen im Anhang. 1815 kam ein zweiter Band mit weiteren 70 Märchen hinzu, ebenfalls mit einem Anhang.

Bereits 1819 folgte die zweite Ausgabe. Der Verkauf verlief zunächst schleppend, erst die kleine Ausgabe von 1825 brachte den Durchbruch. Seitdem sind Grimms Märchen, von denen übrigens nicht einmal die Hälfte mit „Es war einmal“ beginnt, eine beispiellose Erfolgsgeschichte.

Das Aufzeichnen volksmündlicher Überlieferungen gehörte zu den Bestrebungen der deutschen Romantiker, die diese „Töne der Poesie“ vor dem Untergang bewahren und sie von dem Verdacht des Trivialen befreien wollten. Zwar waren die unzertrennlichen Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, die nach Abschluss ihres Studiums seit 1806 in Kassel lebten, keine Romantiker, sondern Forschernaturen. Doch auch sie erkannten die Notwendigkeit, die überlieferten Lieder und Märchen aufzuschreiben. Sie wollten darin uralte, wenn auch zerbröckelte „altnordische Mythen“ erkennen, die es zu rekonstruieren galt.

Inspiriert durch die viel beachtete, ab 1805 veröffentlichte Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ von Achim von Arnim und Clemens Brentano begannen sie 1806 mit dem Sammeln von Märchen. Freunde und Förderer unterstützten sie dabei. Die Märchen „Von dem Machandelboom“ und „Von den Fischer un sine Fru“ in vorpommerscher Mundart steuerte der Maler Philipp Otto Runge bei. Die Herausgabe der Märchen plante ursprünglich Clemens Brentano. Da das Vorhaben nicht umgesetzt wurde, beabsichtigten die Brüder stattdessen die jährliche Herausgabe eines „Altdeutschen Sammlers“. Als auch dieser Plan scheiterte, ermunterten Achim und Bettine von Arnim die Grimms, wenigstens das Vorhandene zu publizieren.

Den größten Teil der Märchen, die den zweiten Band füllen, teilte ihnen die 1755 geborene Dorothea Viehmann aus Niederzwehren bei Kassel ab 1813 mit. Die „Viehmännin“ war eine Schneidersfrau hugenottischer Abstammung und keineswegs eine „alte Bäuerin“, wie es in der Vorrede hieß. Als Tochter eines Gastwirts hatte sie seit ihrer Kindheit den Märchen und Geschichten der durchreisenden Händler, Fuhrleute und Handwerksburschen zugehört. Einige dieser Märchen sind der 1697 veröffentlichten Anthologie von Charles Perrault entlehnt. Sämtliche Aufzeichnungen wurden von den Grimms vor der Veröffentlichung überarbeitet, da ihre eigene Forderung nach getreuer Wiedergabe nur bedingt galt. Diese Aufgabe übernahm später hauptsächlich Wilhelm Grimm, der wegen seiner schwachen Gesundheit keine feste Arbeitsstelle bekleidete.

Die Ansichten darüber, was die Kunstform des Märchens sei, gingen damals weit auseinander; die Auffassung der Brüder Grimm sollte sich durchsetzen. So entstand der bekannte Grimmsche Märchenton. 1816 und 1818 veröffentlichten die Brüder außerdem zwei Bände „Deutsche Sagen“, die allerdings nicht den gleichen Erfolg hatten wie die Märchen und auch nicht wieder aufgelegt wurden. Die zweite Auflage der Kinder- und Hausmärchen von 1819 gilt als die wichtigste in der Editionsgeschichte. Dafür wurden die Texte mit Rücksicht auf die Kritik von Freunden und Rezensenten nochmals überarbeitet. Pädagogische Absichten setzen sich durch. So erklärt es sich, dass die Märchensammlung als „Erziehungsbuch“ deklariert wurde. Mehrere Texte kamen neu hinzu, von denen seitdem einige zum Grundbestand der Kinder- und Hausmärchen zählen wie „Die Bremer Stadtmusikanten“ und „Tischlein deck dich“. Andere, die aus Frankreich in den deutschen Sprachraum gelangt waren, wurden wieder entfernt, allerdings nicht konsequent, da zum Beispiel für „Rotkäppchen“ eine deutsche und eine französische Version existierten.

Heute ist durch die Märchenforschung bekannt, dass es für einige Märchen europaweit und darüber hinaus lange mündliche und schriftliche Erzähltraditionen gibt wie im Fall von „Schneewittchen“. Insgesamt sieben Gesamtausgaben erschienen zu Lebzeiten der Brüder Grimm bis 1857 ab der dritten Ausgabe in der Dieterichschen Verlagsbuchhandlung Berlin. Seit 2005 gehört das Grimmsche Handexemplar der Kinder- und Hausmärchen von 1812/15 im Brüder-Grimm-Museum Kassel zum Weltdokumentenerbe der Unesco. Dagmar Jestrzemski


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