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15.12.12 / Zum Studieren ins Reich / Wie Berlin dem Akademikermangel im Protektorat Böhmen und Mähren entgegenzuwirken versuchte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-12 vom 15. Dezember 2012

Zum Studieren ins Reich
Wie Berlin dem Akademikermangel im Protektorat Böhmen und Mähren entgegenzuwirken versuchte

Während deutsche junge Männer an den Fronten des Zweiten Weltkrieges Kriegsdienst leisten mussten, studierten gleichaltrige Tschechen aus dem Reichsprotektorat Böhmen und Mähren an deutschen Universitäten. Details zu dieser heute selten thematisierten Tatsache hat jetzt das Prager zeitgeschichtliche Portal „Nas smer“ (Unsere Richtung, http://nassmer.blogspot.de/) in einer akribischen Studie dargelegt.

Gegen die Errichtung des Protektorates Böhmen und Mähren war es im Spätherbst 1939 zu studentischen Protestdemonstrationen gekommen, worauf der deutsche Reichsprotektor Konstantin von Neurath die Schließung aller tschechischen Hochschulen im Protektorat verfügte, nicht aber der deutschen. Zwar konnte mancher im slowakischen Bratislava weiterstudieren, aber trotzdem drohte dem kriegswichtigen Protektorat ein Akademikermangel. Mit Datum vom 6. November 1940 verlangte Neurath vom Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, die Befriedung des Protektorats dadurch zu fördern, dass man Tschechen ein Studium im Reich erlaubte. Neuraths Staatssekretär, Karl Hermann Frank, arbeitete dazu die Details aus: Die Tschechen sollten nicht in grenznahen Hochschulen wie Aachen, Breslau oder Königsberg studieren, ihnen standen nur bestimmte Studiengänge offen wie Technik, Bergbau und Geschichte, nicht aber Jura und Volkswirtschaft. Mit dem Geschichtsstudium hoffte man der tschechischen Tradition entgegenzuwirken, aus der nationalen Historie einen nationalen Auftrag herauszulesen. Deshalb sollten die Tschechen auch keine „nationalen“ Gruppen bilden und möglichst nur Deutsch sprechen, was alles der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) überwachen sollte.

Selbst Adolf Hitler war nicht abgeneigt, wollte eine „definitive Entscheidung“ aber bis nach dem Kriegsende vertagen. Immerhin wurde Ende November 1940 beschlossen, ab dem Sommersemester 1941 50 Tschechen an fünf deutschen Universitäten Medizin und Technik studieren zu lassen. Die Auswahl der Kandidaten, die „arischer Herkunft und absolut gesund“ sein mussten, trafen anfänglich Frank und Robert Howorka vom NSDStB, bis sie im Juni 1941 den Protektoratsbehörden weggenommen und der NSDAP-Leitung übergeben wurde.

Am 2. März 1941 verkündeten tschechische Blätter die Neuigkeit, die anfänglich positive Aufnahme fand. Zwar gab es einige Flüsterpropaganda über „Germanisierung“, auch wetterte Edvard Beneschs Exilregierung über den Londoner Rundfunk, aber das hatte bloß kurzfristige Wirkung.

Zum Semesterbeginn 1941 traten statt 50 nur 36 Studenten an, die das sehr strenge Auswahlverfahren überstanden hatten. 20 studierten Medizin in Heidelberg und Würzburg, zwölf Technik in Stuttgart, drei Forstwesen in Tharandt und einer Bergbau im erzgebirgischen Freiberg. Bis auf einen Studienabbrecher zeigten die Tschechen beste Studienerfolge und gaben sich betont unpolitisch – weil sie einander nicht trauten, wie der deutsche Sicherheitsdienst vermutete.

Zum 70. Geburtstag Emil Háchas, des Staatspräsidenten des Protektorats Böhmen und Mähren, am 12. Juni 1942 wurde eine Stiftung ins Leben gerufen, die an begabte junge Tschechen Stipendien für ein Studium im Reich vergab. Frank verkündete im Oktober 1942, dass die tschechischsprachigen Hochschulen im Protektorat auf Dauer geschlossen blieben, da Tschechen in fast unbegrenzter Zahl in Deutschland studieren könnten. Das war ein hoher Anspruch, denn jährlich legten 14000 Jugendliche das Abitur (Matura) ab und vor ihrer Schließung hatte es allein an den technischen und naturwissenschaftlichen Hochschulen der Protektorats über 7000 Studenten gegeben. Selbst eine partielle Realisierung dieses Anspruchs musste Ärger unter den Deutschen auslösen. Es brodelte ohnehin. Im Dezember 1942 beschwerte sich Wilhelm Stuckart, Heinrich Himmlers rechte Hand im Reichsinnenministerium, dass „deutsche Volksgenossen“ in der Armee dienen müssten, während „Tschechen einen Vorsprung eingeräumt“ bekämen.

1942 wurden von 3500 Bewerbern 380 ausgewählt. Frank hätte gern mindestens 800 Tschechen studieren lassen und diese Zahl 1943 auf 1000 oder gar 2800 erhöht, denn seine Protektoratsverwaltung spürte den Fachkräftemangel, der laufend zunahm. Ende 1943 studierten im Reich bereits 600 Tschechen, darunter auch einige in Königsberg, das ursprünglich keine Ausländer aufnehmen sollte.

Disziplin und Studienerfolge der Tschechen waren tadellos, wie Berichte aus Frankfurt am Main, Göttingen, Hannover, Greifswald und anderen Universitätsstädten bestätigten. Frank und der Reichsstudentenführer Gustav Adolf Scheel waren des Lobes voll: „Die politischen Folgen des Studiums von Tschechen im Reich erwiesen sich in Böhmen und Mähren als höchst segensreich und beruhigend für die innenpolitische Lage.“ Zufrieden war auch Rüstungsminister Albert Speer, der Internate für Tschechen bauen ließ.

Ab Ende 1944 wurde die Lage komplizierter: Der totale Krieg verhinderte die geplante Immatrikulation von 2000 Tschechen, aber noch gab es 499 Studenten und 32 Studentinnen. Ihr Studienerfolg übertraf deutschen Durchschnitt; Nachhilfeunterricht im sogenannten Langemarck-Studium, das Arbeiter, Handwerker und Bauern ohne Abitur binnen drei Semestern auf ein Universitätsstudium vorbereiten sollte, brauchten sie nie; in Städten wie München, Karlsruhe oder Leipzig halfen sie nach Bombardements mit deutschen Kommilitonen bei Aufräumarbeiten.

Das Kriegsende überstanden sie unbeschadet, wobei die tschechische Bürokratie hilfreich war. Obwohl die zwei, drei Jahre an deutschen Universitäten den Studenten meist nicht ausgereicht hatten, einen Studienabschluss zu erringen, wechselte die tschechische Bürokratie die deutsche Bezeichnung Facharzt erst im April 1946 gegen die tschechische MUDr. (Medicinae universalis doctor) aus. Wolf Oschlies


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