27.04.2024

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15.12.12 / Reizvoller Vorrat / Keller und offenes Licht für Kinder verboten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-12 vom 15. Dezember 2012

Reizvoller Vorrat
Keller und offenes Licht für Kinder verboten

Die Speisekammer in dem alten, ostpreußischen Bauernhaus meiner Großeltern war fensterlos. Mutter und Großmutter genügte im Allgemeinen das wenige Licht, das nach dem Betreten des Raumes durch die offen gelassene Tür fiel, wenn sie dort etwas holten oder abstellten. Mir nicht. Mir fehlte da in einem Fall der „Überblick“. Was mich ärgerte; denn ich vermutete in der Speisekammer einiges, von dem ich nicht wusste, wo es sein könnte. Wobei die Dunkelheit noch mit sprach. Aber heimlich ein Talglicht zu nehmen, es anzuzünden und damit in die Speisekammer zu gehen, wie die Erwachsenen es taten, wenn es notwendig war, wäre bei mir ein Vergehen gewesen. Offenes Licht in Kinderhand! Kaum etwas konnte schlimmer sein! Außerdem hieß es: „In der Speisekammer hast du allein nichts zu suchen!“ Das hatte ich, damals um die sechs Jahre alt, eigentlich auch nicht. Aber ich glaubte und meinte, dass die vielen Steintöpfe nicht nur Einmachgut enthielten, sondern in einem oder dem anderen etwas Naschbares verwahrt wurde. Und diese Vermutung hatte ihren Reiz. Es gab in unserer Speisekammer viele Steintöpfe, glattwandige und bauchige unterschiedlichster Größe. Die umfangreichsten waren die hohen mit der Kirschkreide, einer stundenlang gekochten Marmelade, die so fest war, dass sie sich in Scheiben schneiden ließ. Ähnliche Formate wiesen auch die Steintöpfe mit den Pilzen, den Bitterlingen, auf. Jene Pilze aus den heimischen Wäldern, die abgekocht und mehrfach gewässert mit Salz untermengt einen lange haltbaren Vorrat bildeten. Dann gab es da noch mittelgroße Töpfe mit eingelegten Gurken. Kleinere mit Schweineschmalz und mit Rindertalg. Und einige mehr handliche mit süßer und mit saurer Sahne. Hier und da stand ein leerer Topf. In den oberen Fächern des Schrankregals zeichneten sich im Halbdunkel die Weckgläser ab, von denen manchmal, für mich überraschend, eins auf den Tisch kam. Über Sülze oder Leberwurst freute ich mich am meisten. Aber auch anderes Schlachtgut war auf diese Weise haltbar gemacht worden. In Augenhöhe der Erwachsenen standen in dem Regal die mit Läppchen umbundenen Flaschen mit Saft. Auf einer tischähnlichen Stellage machten sich irdene Satten mit der zum Dickwerden aufgestellten Milch breit. Außerdem standen hier einige Kruken und Krüge. Jede Abstellfläche war in der Speisekammer voll genutzt. Auch die Brote wurden nach dem Backtag hier aufbewahrt. Und von der Decke baumelte, an einem Haken angehängt, der mit einem Leinentuch umhüllte Schinken. All das steht mir noch deutlich vor Augen. Unauslöschbar eingeprägt. Hannelore Patzelt-Hennig


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