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15.12.12 / Lepner und die preußischen Litauer / Wie die Schriftsprache in Ostpreußen entstand

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-12 vom 15. Dezember 2012

Lepner und die preußischen Litauer
Wie die Schriftsprache in Ostpreußen entstand

Ende November wurde in der Litauischen Botschaft in Berlin ein Buch vorgestellt, das vor mehr als drei Jahrhunderten im Herzogtum Preußen geschrieben wurde und das für die Entstehung der litauischen Schriftsprache von unschätzbarer Bedeutung ist. Gemeint sind die Aufzeichnungen des protestantischen Pfarrers Theodor Lepner (um 1633–1691) aus Budwethen bei Ragnit über die Lebensweise der litauischen Bauern in Ostpreußen. Dieses Buch trug den Titel „Der preußische Litauer“, ist in einer Handschrift aus dem Jahr 1690 überliefert, die in Danzig gedruckte Ausgabe stammt aus dem Jahr 1744.

Als das Buch geschrieben wurde, war die Einwanderung leibeigener Bauern aus dem Großherzogtum Litauen in das Herzogtum Preußen, das wenige Jahre später (1701) von Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (1657-1713) zum Königreich erklärt wurde, längst abgeschlossen.

Nach dem Zweiten Thorner Frieden 1466 bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts waren, um der Leibeigenschaft in Litauen zu entkommen, rund 30000 Litauer über die Grenze gekommen und hatten sich in der „Großen Wildnis“ im Nordosten des Landes angesiedelt. Trotz der fortschreitenden Assimilierung an das Deutschtum in den folgenden Jahrhunderten ermittelte noch 1890 die preußische Volkszählung 121345 Deutsche mit litauischer Muttersprache.

In diesem „Kleinlitauen“ oder „Preußisch Litauen“ genannten Gebiet entstand, also außerhalb des Staates Litauen, die litauische Schriftsprache. Das erste und wichtigste Dokument der altlitauischen Sprache war die Bibelübersetzung des deutschen Pfarrers Johannes Bretke (1539−1602), die in den Jahren 1579/90 entstand, aber erst 1736 gedruckt wurde. Dieser Pfarrer war zweisprachig aufgewachsen und beherrschte drei baltische Sprachen, von denen zwei heute ausgestorben sind: das Litauische, das Prußische, das die Sprache seiner Mutter war, und das dem Lettischen verwandte Kurische, das auf der Kurischen Nehrung gesprochen wurde.

Ein dritter Pfarrer schließlich, Daniel Klein, schuf im Auftrag des Großen Kurfürsten (1620–1688), eine litauische Grammatik, die in lateinischer Fassung 1653, in deutscher 1654 erschien.

Auch die erste Dichtung in litauischer Sprache entstand in „Kleinlitauen“, im 18. Jahrhundert im ostpreußischen Dorf Tollmingkehmen bei Gumbinnen, wo der Pfarrer Christian Donelaitis (1714–1780) lebte und wirkte. Er hatte das „Litauische Seminar“ der Universität Könígsberg besucht und schrieb als Pfarrer ein episches Gedicht, das den Titel „Metai“ (Jahreszeiten) trug und dem mühsamen Leben der litauischen Scharwerksbauern gewidmet war. Der im ostpreußischen Tilsit geborene Schriftsteller Johannes Bobrowski (1917–1965) hat den sprachbegabten Pfarrer zum Mittelpunkt seines zweiten Romans „Litauische Claviere“ (1966) gemacht.

Während des 19. Jahrhunderts wurden Sprachforscher, auch außerhalb Deutschlands, auf diesen aussterbenden Sprachzweig in Ostpreußen aufmerksam. An der Albertina, der Königsberger Universität, wo ein Forschungsschwerpunkt zum Studium der baltischen Sprachen entstanden war, lehrte Friedrich Kurschat (1806–1884), selbst preußisch-litauischer Abstammung, der 1843 seine „Beiträge zur Kunde der litauischen Sprache“ veröffentlichte. Er war 1841/83 Leiter des „Litauischen Seminars“ in Königsberg und 1849/80 auch Herausgeber der litauischen Zeitung „Keleiwis“ (Wanderer) und Verfasser eines deutsch-litauischen Wörterbuchs (1870) und einer Grammatik (1876).

Dennoch war das Absterben der litauischen Sprache in Ostpreußen kaum noch aufzuhalten. Nach der Reichsgründung 1871 gab die Regierung des Königreichs Preußen die fürsorgliche Haltung für die nichtdeutschen Minderheiten auf und verschärfte den Kulturkampf, dessen Leidtragende die preußischen Litauer wurden, obwohl sie Protestanten waren.

In Petitionen an den Kaiser wehrten sie sich gegen den Abbau des muttersprachlichen Unterrichts und schickten eine Delegation in die Reichshauptstadt Berlin, die von Wilhelm I. (1797–1888) empfangen wurde. Sein Sohn, der spätere Kaiser Friedrich III. (1831–1888), vermerkte dazu in seinem Tagebuch „Es war schwer, die ungekünstelte Herzensinnigkeit einer solchen Liebe und Dankbarkeit anzusehen und ihre Äußerung anzuhören, ohne dass einem die Tränen in die Augen traten, bei dem Gedanken an das in jüngster Zeit von verschiedenen Seiten in Ostpreußen angestrebte rasche Ausrotten der alten, ehrwürdigen Sprache mit ihren Volksliedern und ungekünstelter, unverdorbener Naturkraft und tiefster religiöser Glaubensinnigkeit.“

Um die bedrohte Sprache zu retten, wurde im Kaiserreich die „Litauische Literarische Gesellschaft“ (1879–1925) gegründet. Ihr letzter Vorsitzender Alexander Kurschat (1857–1944) konnte trotz Kriegswirren, Flucht und Vertreibung das Manuskript eines vierbändigen deutsch-litauischen Wörterbuchs in die Nachkriegszeit retten. Der letzte Band erschien 1973 und ist das nunmehr letzte Zeugnis der preußisch-litauischen Sprache. Jörg Bernhard Bilke


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