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15.12.12 / Zeit heilt nicht alle Wunden / Erfolgsautor verarbeitet den Tod seines Sohnes im Roman

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-12 vom 15. Dezember 2012

Zeit heilt nicht alle Wunden
Erfolgsautor verarbeitet den Tod seines Sohnes im Roman

Der bekannte Schriftsteller Martin Suter führt ein Leben, von dem viele seiner Leser nur träumen. Er besitzt ein Haus in der Altstadt von Ibiza und eine Villa im Kolonialstil mit Olivenbäumen und Weinfeldern in Guatemala. Dort wohnt er abwechselnd mit seiner zweiten Frau, einer Mode-Designerin, und seiner Adoptivtochter. Alles, was der gelernte Werbetexter mit seiner Schreibfeder berührt – egal ob Romane, Drehbücher oder Songtexte – wird zu Gold. „Bis vor drei Jahren“, sagt der 64-Jährige in einem Interview, „hab ich das mit dem Talent zum Glück auch geglaubt und hab den Neid der Götter zu fürchten begonnen“. Doch dann passiert das Unfassbare. 2009 stirbt sein dreijähriger Adoptivsohn Antonio bei einem Unfall. Den Tod hat Suter bis heute nicht verwunden, wie er dem Nachrichtenmagazin „Focus“ kürzlich anvertraute: „Die Zeit heilt alle Wunden, das glaube ich nicht.“ In seinem neuen Roman „Die Zeit, die Zeit“ geht es um Trauer, Verzweiflung, Einsamkeit und Hoffnung.

Protagonist ist der Buchhalter Peter Taler, dessen Frau Laura eines Abends direkt vor der Haustür aus dem Hinterhalt erschossen wird. Seitdem durchlebt der 42-Jährige jeden Abend den gleichen Ablauf der Ereignisse vor dem schrecklichen Mord: Er trinkt drei Feierabendbier, dünstet Zwiebeln und Tomaten in der Pfanne, kocht Nudeln und erfüllt die Wohnung mit dem Duft von frischem Basilikum. Tagein tagaus bereitet er dasselbe Essen zu, dazu eine Flasche Wein, deckt den Tisch für zwei Personen und zündet sogar eine Zigarette für Laura an, obwohl er Nichtraucher ist. Zwischendurch schaut er immer wieder aus dem Fenster auf die Häuser und Gärten in der Nachbarschaft, so als ob der Täter wiederkehren und er das Schicksal ungeschehen machen könnte.

Einen ersten Hinweis entdeckt Taler im Garten seines schrulligen Nachbarn Knupp. Der pensionierte Lehrer scheint tatsächlich mehr über Lauras Tod zu wissen. Im Gegenzug für seine Informationen verlangt dieser Mithilfe bei einem merkwürdigen Experiment. Er will in die Vergangenheit zum 11. Oktober 1991 zurückkehren. An diesem Datum flog er in den Urlaub nach Kenia. Nach der Reise erkrankte seine Frau an Malaria und starb. Laut der Theorie der Kerbelianer, einer erfundenen, esoterischen Bewegung, braucht der Witwer dazu weder eine Zeitmaschine noch Science-Fiction-Kräfte. Er muss lediglich die Umgebung wieder exakt so herstellen wie vor 21 Jahren und alle Veränderungen, die seitdem passiert sind, rückgängig machen. Zusammen mit Taler versetzt der Rentner das Haus und die Nachbarschaft in den Zustand von damals, tauscht die Gartenpflanzen aus und rekonstruiert selbst den Faltenwurf der Bettdecke anhand alter Fotos. Um die Spuren des Alters zu verwischen, geht Knupp sogar zum plastischen Chirurgen.

Was zunächst wie eine surreale Geschichte anmutet, entpuppt sich bald als unterhaltsamer, spannender und intelligenter Roman. Originell lässt Suter seine Figuren über Themen wie Raum, Zeit und Tod philosophieren: „Wenn das stimmen würde, würde alles, was wir zu wissen glauben, auf den Kopf gestellt.“ „Verändert das Experiment den Lauf der Dinge? Und falls ja − was ist dann mit dem Jetzt? Wenn wir nachträglich den Lauf der Dinge ändern?“

Die Lektüre vergeht wie im Fluge und entsprechend rasant ist auch der Showdown mit dem Höhepunkt des Experiments und der Aufklärung von Lauras Mord. Das Thema Zeit hat Suter als Schaltjahrkind übrigens seit jeher interessiert und spielte bereits in seinem Roman „Ein perfekter Freund“ eine große Rolle. Sophia E. Gerber

Martin Suter: „Die Zeit, die Zeit“, Diogenes Verlag, Zürich 2012, geb., 296 Seiten, 19,95 Euro


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