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22.12.12 / Gelähmte Gerechtigkeit / Bewährung für Gewaltvergehen – Gefängnis fürs Schwarzfahren: Justiz auf der schiefen Ebene

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-12 vom 22. Dezember 2012

Gelähmte Gerechtigkeit
Bewährung für Gewaltvergehen – Gefängnis fürs Schwarzfahren: Justiz auf der schiefen Ebene

Während selbst schwere Gewalttaten oft nur mit Bewährungsstrafen geahndet werden, sitzt in Berlins Gefängnissen eine erstaunliche Anzahl von Häftlingen lediglich wegen des Delikts ein, Busse oder Bahnen ohne Fahrkarte benutzt zu haben. Der Landeskasse entstehen Millionenkosten, die einfachste Lösung für das Problem ist trotzdem nicht umsetzbar – aus juristischen Gründen.

Es ist nur eines von mehreren Urteilen, das weit über die Grenzen Berlins für Kopfschütteln gesorgt hat. Zwei Jahre, nachdem sich drei Jugendliche aus arabischen und türkischen Familien an einer wehrlosen jungen Frau vergangen haben, sind die Täter wieder auf freiem Fuß: Zwei Jahre nach der Tat wurden sie nach Jugendstrafrecht rechtskräftig lediglich zu Bewährungsstrafen von elf bis 13 Monaten verurteilt. Zudem sollen sie dem Opfer je 500 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Von dem Urteil dürfte kaum eine Abschreckungswirkung ausgehen: Auch bei anderen Urteilen scheint die Justiz selbst schwerste Gewalttaten nur noch wie Kavaliersdelikte zu ahnden. Angesichts dieser Milde für Gewalttäter ist umso erstaunlicher, wen die Justiz massenweise in Gefängnissen weggesperrt: Schwarzfahrer des öffentlichen Nahverkehrs. Ein Drittel der Insassen der Berliner Justizvollzugsanstalt Plötzensee bilden bereits seit Jahren verurteilte Schwarzfahrer. Das Phänomen hat einen simplen Hintergrund: Die sogenannte „Beförderungserschleichung“ wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet.

Diejenigen Täter, welche die Geldstrafen nicht aufbringen können, müssen ersatzweise Haftstrafen antreten. Da die Bemessungsgrundlage im Normalfall der Hartz-IV-Satz ist, fallen die jeweiligen Tagessätze entsprechend niedrig aus – sie liegen bei lediglich rund zehn Euro. Die Zeiten der Ersatzhaft fallen dementsprechend lang aus.

Drastische Folgen hat die Schwemme der Schwarzfahrer in den Berliner Gefängnissen allerdings auch auf die Landeskasse: 134,75 Euro pro Tag kostet die Haftunterbringung eines zahlungsunfähigen Schwarzfahrers die Berliner Landeskasse, so Justizsenators Tomas Heilmann (CDU). Die unmittelbaren Kosten sind allerdings nur eine der Folgen. Die Menge an „Beförderungserschleichern“ belegt Haftplätze, die in Berlin ohnehin knapp sind, mit ein Grund dafür, dass Berlin weitere Haftplätze schaffen muss. In der Umlandgemeinde Großbeeren wird Anfang 2013 das neueste Berliner Gefängnis mit 648 Plätzen in Betrieb gehen – Kostenpunkt: 120 Millionen Euro.

Kaum zu beziffern dürfte allerdings der Schaden sein, den das Justizsystem im Ansehen der Bevölkerung davonträgt: In der Bevölkerung wächst der Zweifel, ob Gesetzgeber, Staatsanwälte und Richter noch die richtigen Schwerpunkte setzen. Während Gewalttäter, die oft genug eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, lediglich zu Bewährungsstrafen verurteilt werden, zeigt sich die Justiz bei harmlosen Delikten knallhart. Noch verheerender präsentiert sich das Bild demjenigen, der sich die hilflosen Lösungsversuche ansieht. Im Fall der Schwarzfahrer haben die Berliner Grünen mittlerweile eine Initiative gestartet, das Delikt künftig wie eine Ordnungswidrigkeit, etwa wie Falschparken, zu behandeln. Das Phänomen, dass man mit Kanonen auf Spatzen schießt – sprich: für ein relativ geringfügiges Vergehen gleich eine Haftstrafe verhängen muss – wäre damit zwar gebannt, gleichzeitig würde aber ein Fehlanreiz gesetzt. Die Zahl der fahrkartenlosen Passagiere würde weiter ansteigen, bereits jetzt beklagen sich die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) über Millionenverluste durch die „Beförderungserschleichung“.

Der Vorschlag der Grünen hat ohnehin nur minimale Erfolgsaussichten. Nötig wäre eine Änderung des Strafgesetzbuchs auf Bundesebene. Genauso wenig Erfolg versprechend erscheint allerdings auch, was von den Berliner Verkehrsbetrieben gefordert wird, nämlich, die Strafgelder für das Schwarzfahren deutlich zu erhöhen. Die Abschreckungswirkung würde zwar steigen, vermutlich aber auch die Anzahl der Schwarzfahrer, die auf Kosten der Landeskasse eine Ersatzhaft antreten.

Das Dilemma hat einen einfachen Hintergrund: Eine Lösung, die der gesunde Menschenverstand gebietet – gemeinnützige Arbeit statt Haft – lässt sich gegen den Willen der verurteilten Schwarzfahrer nicht durchsetzen. Die Möglichkeit, Sozialstunden ersatzweise für Haft zu leisten, besteht nämlich längst: Freiwillig wird das Angebot allerdings häufig nicht angenommen, während es mit Zwang juristisch nicht durchsetzbar ist.

Nicht von ungefähr stellt sich angesichts der kaum entwirrbaren Problematik der Eindruck ein, dass die Politik in Sachen Kriminalitätsbekämpfung kaum noch handlungsfähig ist. Entsprechend pessimistisch nehmen Kritiker die jüngste Ankündigung von Justizsenator Heilmann auf, sich nun verstärkt um den Kampf gegen Jugendkriminalität kümmern zu wollen: Auch hier sind die Probleme seit Jahren bekannt. In Berlin sind rund 800 Jugendliche als Intensivtäter eingestuft. Allein diese Gruppe ist für rund die Hälfte der Straftaten unter den Berliner Jugendlichen verantwortlich. Mit anderen Worten: Würde es gelingen, lediglich diese 800 Jugendlichen von weiteren Taten abzubringen, würde die Jugendkriminalität in der Stadt um die Hälfte sinken. Tatsächlich laboriert die Politik an dem Problem Intensivtäter allerdings schon genauso lange herum wie an einer vernünftigen Regelung für die Problematik zahlungsunfähiger Schwarzfahrer. Norman Hanert


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