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22.12.12 / Der Erlöser als Wickelkind / Verehrt, verwöhnt, verklärt – Das Jesuskind aus Frauenklöstern erstmals öffentlich gezeigt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-12 vom 22. Dezember 2012

Der Erlöser als Wickelkind
Verehrt, verwöhnt, verklärt – Das Jesuskind aus Frauenklöstern erstmals öffentlich gezeigt

Vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gehörte in vielen Frauen­klöstern eine Jesuskindfigur zur Mitgift, die die Nonne von ihrer Familie am Tag ihres endgültigen Klostereintritts bekam. Beim Ablegen der ewigen Gelübde während der Professfeier, in der die neue Klosterfrau als Braut Christi endgültig in die Ordensgemeinschaft aufgenommen wird, spielte die Je­sus­kindfigur aus der Mitgift eine wichtige Rolle. Sie vertrat nämlich den himmlischen Bräutigam. Dieses mystische Brautverständnis geht zurück auf die Auslegung des alttestamentlichen Hoheliedes durch Bernhard von Clairvaux (1090–1153). Den dort geschilderten liebevoll erotischen Dialog zwischen Braut und Bräutigam übertrug er auf das Verhältnis zwischen Christus und den nach Erlösung sehnenden menschlichen Seelen. Die Bräute Christi strebten also nach der geheimnisvollen Vereinigung der Seele mit Gott. Ihre Jesuleinfiguren bezeichneten sie daher auch als „Seelenkind“.

„Dass für kinderlose Klosterfrauen das Geheimnis der Mensch­werdung von Gottes Sohn auch eine ganz emotionale und zutiefst menschliche Konnotation haben darf und soll, ist mehr als verständlich und hat zu liebevollen und oft aufwendigen Inszenierungen des persönlichen ,Trösterleins‘ geführt“, wie Christoph Kürzeder erklärt. Er ist der Direktor des bayerischen Diözesanmuseums Freising. Dort widmet sich eine außergewöhnliche Ausstellung dem Jesuskind in Bayerns Frauenklöstern. Die meisten der rund 200 Ausstellungsstücke wurden aus Frauenklöstern abgeholt und sind nun erstmals öffentlich zu sehen.

In den Frauenklöstern entwickelten sich besondere Formen des Umgangs mit diesen Bildwerken. Diese erzählen von der innigen Beziehung zum Mensch gewordenen göttlichen Kind. Es wurde liebevoll umsorgt wie ein leibliches Kind, war Mitbewohner der Klosterzelle, diente wie das Kruzifix als persönliches Andachtbild der Ordensfrau und begleitete sie durch das ganze Klosterleben.

Eines der frühesten Bildwerke der Schau ist die farbig gefasste Holzfigur des „Sitzenden Jesuskindes mit einem Reh“ (gegen 1500). Das kleine Reh hat seine Scheu abgelegt und sich an den nackten, wohlgenährten Jesusknaben geschmiegt, der auf einem Kissen sitzt. Das Reh symbolisiert die Schutzsuche der bedrängten menschlichen Seele. Normalerweise waren die Christkindfiguren mit echten Kleidungsstücken austaffiert. Ausgestellt sind Unterhemdchen aus Leinen, Strümpfe und Schuhe sowie prächtige Kleidchen aus Seide und Baumwolle, sorgsam bestickt mit Gold- und Silberfäden, geschmückt mit Perlen und Glassteinen. Ein mit 71 Zentimetern Länge außergewöhnlich großes Prachtexemplar ist das stehende Jesuskind (16. Jahrhundert) aus dem Landshuter Ursulinenkloster St. Joseph. Das schief gelegte Köpfchen, rosige Bäck­chen, Doppelkinn und der leicht geöffnete Mund sorgen für liebliche Anmut. Es trägt ein reich mit Goldfäden besticktes Kleid aus weißem Seidendamast und einen roten Samtumhang. Vermutlich war es kein „privates“ Jesulein einer einzelnen Ordensfrau, sondern der Stolz der gesamten Schwesternschaft.

Eine umfangreiche Ausstellungsabteilung widmet sich Weihnachten im Kloster. Während des Advent bereiteten sich die Nonnen mit geistlichen Übungen auf das Fest der Geburt Christi vor. Im Mittelpunkt stand dabei die Einfühlung in die schwangere Gottesmutter. Die „Heimsuchung“, also der Besuch Mariens bei Elisabeth, steht für die freudige Erwartung der Geburt des Messias, dargestellt auf zwei Altartafeln (um 1465) des Lienhart von Brixen. Das anonyme Gemälde der „Herbergssuche“ (um 1770) zeigt die Ankunft der hochschwangeren Maria und des den Esel führenden Josefs in Bethlehem. Das Bildthema ist als Aufforderung zu verstehen, Jesus eine Wohnung zu bereiten. Die von Philipp Dirr um 1618 geschnitzte „Anbetung der Hirten“ zeigt das neugeborene Kind, das nackt in der Krippe auf einem weißen Tuch liegt, die Hand zum Segensgestus erhoben.

Ein Blickfang ist das mit lebensnaher Wachsmodellierung des Gesichtes aufwartende „Fatschenkind“ (Wickelkind) in echter Holz­wiege (18. Jahrhundert). Es weist uns darauf hin, dass es in den Frauenklöstern gute Sitte war, das „Neugeborene“ zu wickeln, in der Krippe anzubeten und mit Wiegenliedern in den Schlaf zu singen. Über die Wiege des ausgestellten Fatschenkindes ist ein vergoldeter Glasschrein gestülpt. Das erinnert an eine Aufbahrung und verweist somit auf den Erlösertod Christi. Veit-Mario Thiede


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